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Lieder von Sternen und Schatten

Lieder von Sternen und Schatten

Titel: Lieder von Sternen und Schatten
Autoren: George R. R. Martin
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waren von Alt-Poseidon gekommen, wo das Meer seit Generationen das Dasein bestimmt hatte. Die reichhaltigen, wimmelnden Meere und friedlichen Archipele ihrer neuen Welt hatten sie weit mehr angezogen als die dunkeln Wälder des Festlandes. Ihre Kinder wuchsen mit derselben Einstellung heran, mit Ausnahme einer Handvoll, die mit dem Verkauf von Träumen illegale Gewinne machte.
    »Tu das nicht einfach mit einem Achselzucken ab«, sagte ich.
    »Denk doch realistisch«, erwiderte er. »Das Festland nützt keinem etwas, außer den Spinnen-Leuten. Wem könnte das schaden?«
    »Verdammt, Gerry, sieh dir diesen Turm an! Wo kommt er her, sag mir das! Ich sage dir, da draußen in diesen Wäldern könnte es Intelligenz geben. Die Jamies haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, nachzuforschen.«
    Crystal nickte über ihrem Weinglas.
    »Johnny könnte recht haben«, sagte sie mit einem Blick auf Gerry. »Deshalb bin ich hergekommen, wenn du dich erinnerst. Die Artefakte. In dem Laden auf Baldur hieß es, sie wären von Port Jamison aus verschifft worden. Der Mann konnte sie nicht weiter zurückverfolgen. Und die Kunstfertigkeit – ich gehe seit Jahren mit der Kunst fremder Wesen um, Gerry. Ich kenne die Arbeiten der Fyndii, von Damush, und ich habe alle anderen gesehen. Das war etwas ganz anderes.«
    Gerry lächelte nur.
    »Beweist gar nichts. Es gibt zum Kern hin andere Rassen, Millionen von ihnen. Die Entfernungen sind zu groß, also hören wir nicht sehr oft von ihnen, außer vielleicht aus dritter Hand, aber es ist nicht ausgeschlossen, daß immer wieder einmal eines ihrer Kunstprodukte durchsickert.« Er schüttelte den Kopf.
    »Nein. Ich möchte wetten, daß irgendein früher Siedler den Turm errichtet hat. Wer weiß, vielleicht hat es vor Jamison einen anderen Entdecker gegeben, der seinen Fund nie gemeldet hat. Vielleicht hat er das hier gebaut. Aber intelligente Wesen auf dem Festland nehme ich euch nicht ab.«
    »Jedenfalls so lange nicht, bis ihr die verdammten Wälder ausräuchert und sie alle herauskommen und ihre Speere schwenken«, sagte ich griesgrämig. Gerry lachte, und Crystal lächelte mich an. Und plötzlich, ganz plötzlich, erfüllte mich der überwältigende Wunsch, in diesem Streit Sieger zu bleiben. Meine Gedanken besaßen die an den Rändern verschwimmende Klarheit, die nur der Wein verschaffen kann, und es schien so logisch zu sein. Ich hatte so eindeutig recht, und hier bot sich mir die Gelegenheit, Gerry als den Provinzler zu entlarven, der er war, und bei Crystal Boden gutzumachen.
    Ich beugte mich vor.
    »Wenn ihr Jamies jemals nachschauen würdet, könntet ihr vielleicht intelligente Wesen finden«, sagte ich. »Ich bin erst einen Monat auf dem Festland und habe schon viel entdeckt. Du hast überhaupt keine Vorstellung von der Schönheit, deren Vernichtung du so munter predigst. Hier draußen gibt es eine ganze Ökologie, eine andere als auf den Inseln, Arten über Arten, von denen man viele vermutlich noch gar nicht kennt. Aber was weißt du davon? Was wißt ihr alle davon?«
    Gerry nickte.
    »Dann zeig es mir doch.« Er stand plötzlich auf. »Ich bin immer lernbereit, Bowen. Warum nimmst du uns nicht mit und zeigst uns alle Wunder des Festlandes?«
    Ich glaube, Gerry wollte auch Punkte sammeln. Er rechnete vermutlich nicht damit, daß ich ihn beim Wort nehmen würde, aber es war genau das, was ich mir wünschte. Draußen war es dunkel geworden, und wir hatten uns beim Licht meiner Lampen unterhalten. Über uns leuchteten die Sterne durch das Loch in meinem Dach. Der Wald würde jetzt lebendig sein, unheimlich und schön, und ich war plötzlich begierig darauf, dort zu sein, mit dem Bogen in der Hand, in einer Welt, wo ich eine Kraft und ein Freund war und Gerry ein tollpatschiger Tourist.
    »Crystal?« sagte ich.
    Sie wirkte interessiert.
    »Könnte Spaß machen. Wenn es ungefährlich ist.«
    »Bestimmt«, sagte ich. »Ich nehme meinen Bogen mit.«
    Wir standen beide auf, und Crys machte einen glücklichen Eindruck. Ich erinnerte mich an die Zeiten, als wir gemeinsam in die Wildnis Baldurs gezogen waren, und plötzlich fühlte ich mich sehr glücklich, erfüllt von der Gewißheit, daß alles gut werden würde. Gerry war nur Teil eines bösen Traums. Sie konnte ihn nicht wirklich lieben.
    Zuerst suchte ich die Nüchternmacher heraus; ich fühlte mich gut, aber nicht gut genug, um in den Wald hinauszugehen, solange mir vom Wein noch schwindlig war. Crystal und ich schluckten sie sofort, und
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