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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit
Autoren: A Forna
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außer der einen – sich zu erinnern. Adrian kann schier nicht glauben, mit welcher Intensität man einen Menschen weiter lieben kann, der gestorben ist. Nur Dummköpfe, davon ist er überzeugt, glauben, Liebe könne nur Lebenden gelten. Und so sitzt er da und betrachtet die See und denkt an Mamakay.
    Während seiner letzten Tage im Land blieb Adrian in der Wohnung mit Kai. Kai kam und ging zwischen seinen Schichten und kochte für sie beide, kümmerte sich um den Haushalt. Zum Haus, in dem er mit Mamakay gewohnt hatte, kehrte Adrian nie wieder zurück. Jeden Abend verbrachten Adrian und Kai zusammen. Wenn Adrian das Geräusch von Kais Schlüssel im Türschloss hörte, freute er sich. Es bedeutete, dass er aufhören konnte, so zu tun, als würde er arbeiten, aufhören, sich mühsam am Riemen zu reißen. Kais Gesellschaft bot ihm Ablenkung und Trost zugleich, den Trost, sich Mamakay nahe zu fühlen.
    Elias Cole sah er nie wieder. Von Babagaleh, der die Auflösung von Adrians und Mamakays Haushalt übernahm, erfuhr Adrian, was aus den weiteren Akteuren in Coles Geschichte geworden war. Yansaneh, der seine Stelle an der geisteswissenschaftlichen Fakultät verloren hatte und auf den Nord-campus versetzt worden war: getötet, als der Campus bereits in der Anfangsphase des Krieges überrannt wurde. Vanessa, Coles Mätresse, lebte mit einem ausländischen Spekulanten zusammen, der nach Kriegsende ins Land gekommen war. Eines Tages stieß Adrian, während er absichtslos im Internet unterwegs war, auf einen Dozenten für Medienwissenschaft an einer Universität in den Südstaaten der USA . Sein Name: Kekura Conteh.
    Es war ebenfalls Babagaleh, der sich um einen großen Teil der praktischen Aspekte von Mamakays Beerdigung gekümmert hatte. Der Leichenschmaus wurde im Mary Rose abgehalten. Adrian musste feststellen, dass er nicht allzu viele Leute kannte, was vielleicht nicht verwunderlich war, da seine Beziehung zu Mamakay die engen Grenzen der Welt, die sie miteinander und füreinander geschaffen hatten, kaum überschritten hatte. Ileana kam natürlich. Attila ebenfalls, was Adrian mit einem kurzen heftigen Gefühl der Dankbarkeit erfüllte. Ein paar Trauergäste, die offensichtlich annahmen, Adrian sei als irgendjemandes Begleiter da, machten mit ihm höflich Konversation, fragten ihn, wie lang er schon im Land sei, für welche Organisation er arbeite, wie er das Leben dort finde. Und Adrian antwortete entsprechend, nicht über sich bringend, ihnen zu sagen, dass er Mamakays Liebhaber gewesen war, konnte er doch nicht übersehen, dass es Kai war, dem sie den Respekt zollten, der dem Hauptleidtragenden gebührt, dem sie Worte des Trostes spendeten. Adrian nahm das zur Kenntnis und stellte fest, dass es ihn nicht störte. Er stand mit dem Rücken an der Wand und beobachtete die Trauergäste. Einmal fiel sein Blick auf Babagaleh, der sich durch den Raum bewegte und, von keinem beachtet, weiter seinen Pflichten nachging. Babagaleh, dachte Adrian, würde sie alle überleben. Er wollte Mamakay eine Frage über Babagaleh stellen, erinnerte sich, wo er war, und nahm zur Kenntnis, dass die Frage ewig unbeantwortet bleiben würde. Das passierte ihm hundertmal am Tag: Er wandte sich mit einem Gedanken auf den Lippen an sie.
    Elias Cole war gesundheitlich nicht in der Verfassung gewesen, dem Begräbnis seiner Tochter beizuwohnen.
    Am Morgen des nächsten Tages wachte Adrian mit der Erkenntnis auf, dass er nach England zurückkehren wollte, ging hinüber ins Wohnzimmer, wo Kai auf der Couch schlief, und weckte ihn, um ihm seine Absicht mitzuteilen. Das Verlangen nach dem Vertrauten überwältigte ihn. Kai nickte langsam, sagte aber nichts. Eine Stunde später ging Kai zur Arbeit, kam am späten Nachmittag zurück und setzte sich Adrian gegenüber hin.
    Zu der Entscheidung gelangten sie gemeinsam am frühen Abend. Später konnte sich Adrian nicht erinnern, von wem der Vorschlag ausgegangen war. Ob es lediglich das Unumgängliche war, das Alternativlose – in praktischer und sonstiger Hinsicht. Oder einfach das, was Mamakay gewollt hätte. Bis tief in die Nacht sprachen sie über sie, zum ersten Mal seit der Nacht ihres Todes.
    Den letzten Samstag verbrachten sie am Strand, bei Ileana, wo sie in einem grünlichen Licht eintrafen. Blitze zickzackten über den Himmel. Der Donner entrollte einen dunklen Schatten. Anschließend traten die drei Freunde in eine neue Helligkeit, warme, trockene Fußspuren in der von Regen durchtränkten
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