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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit
Autoren: A Forna
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Sandmembran hinterlassend. Es war sonst niemand da, der Strand war verlassen. Sie kamen am leeren Hotel vorbei, mit seiner Bar und seinem Billardtisch, die noch immer auf die Rückkehr der plötzlich abberufenen Gäste warteten. Die Fischerdörfer lagen still da, die Kanus kieloben auf ihren Stützen, die Netze da, wo man sie hingeworfen hatte. »Seltsam«, bemerkte Ileana, »dass ausgerechnet Fischer eine solche Angst haben, nass zu werden.« Sie bogen sich alle drei vor Lachen. Es gab Dinge, die absolut widersinnig erschienen. Ileana hob den Kopf und eine Hand, sagte: »Da.« Vor ihnen, auf einer fernen Sandbank, entfaltete ein Glockenreiher eine einzelne Schwinge.
    Eines Tages wird er vielleicht zurückkommen. Er sieht sich, gebeugt unter der Sonne, am Horizont die Aussicht seines Todes, nach den Orten und Menschen suchen, unter denen er diese Monate gelebt und die er geliebt hat.
    Dann wieder schaut er Kate an und denkt an das, was er zurückgelassen hat.
    Es ist die Zeit des Jahres, die Adrian hier an der Küste am meisten liebt. Die Vögel kommen allmählich zurück. Ein Grüppchen von Wasserläufern, die den Spülsaum entlangtrippeln. Auf dem Tisch am Fenster hat er immer ein Fernglas liegen, und jetzt führt er es an die Augen. Fast jeden Tag sieht er Rotschwänzchen, Würger, und gestern, flüchtig, einen Trauerschnäpper. Bald werden sie nach Süden ziehen, zur Küste von Westafrika.
    Und ebenfalls gestern, ein Brief von Kai, der zwar unregelmäßig, aber vergleichsweise häufig schreibt und sich auch nicht länger sträubt, den Computer zu benutzen. Diesmal ist er allerdings zu seinem bevorzugten Medium zurückgekehrt. Dem Brief beigefügt war ein achtseitiges handgeschriebenes Dokument. Adrian faltete es auseinander und begann es zu lesen, ging dann damit nach draußen auf die Terrasse, in die Morgensonne. Es war die Geschichte von Agnes, ihrem Mann und ihrer Töchter, Naasus und JaJas. Alles, wovon Adrian überzeugt gewesen war, was er aber nie hatte ermitteln, nie hatte beweisen können.
    Alles, was er brauchte, stand da.
    Und da war noch etwas, unten auf Kais Brief, in demselben blauen Kuli, als wäre Kai kurz aus dem Zimmer gerufen worden und hätte den Brief unbeaufsichtigt auf dem Tisch liegen lassen. Etwas, was Adrian erst beim dritten Durchlesen sah. Rechts am unteren Rand der Seite.
    Das Gekritzel eines Kindes.
    Das kleine Mädchen bleibt stehen und starrt auf seine Füße, als sehe es sie zum allerersten Mal. Sie greift Sand mit ihren Zehen und hebt erst den einen, dann den anderen Fuß. Erst einen, dann den anderen. Sie zieht die Schultern hoch und wackelt mit dem Kopf, stampft mit den Füßen auf und lacht. Abass geht zu ihr hin, streckt die Arme aus, um sie hochzunehmen, aber sie weicht ihm aus und rennt den Spülsaum entlang davon. Mit drei Schritten hat er sie erwischt; die Hände unter ihren Achseln, schwingt er sie in die Höhe. Dann setzt er sie wieder ab, und sie gehen nebeneinander am Wasser entlang. Etwas, was die zurückweichende See hinterlassen hat, erregt ihre Aufmerksamkeit.
    Von hoch oben am Strand beobachtet Kai sie, wie sie anfangen zu graben, sich schweigend in die Aufgabe hineinknien. Abass, dunkelhäutig und kantig. Das Mädchen ist dagegen pummelig und bronzefarben, ihr Haar eine Masse von schwarzen Ringellöckchen. Das Haar entzückt Kais Tanten ebenso sehr, wie es sie zur Verzweiflung bringt, weil es sich nicht zusammenbinden lässt, aus den Zöpfen schlüpft und sich ihren Haarölen und Kämmen widersetzt. Das Kind windet sich unter ihren Händen und zieht die Bänder und Schleifen wieder ab. Kai kann die Salzkristalle zwischen den Locken funkeln sehen, während das Mädchen sich unter der Sonne bewegt. Am Abend werden seine Tanten missbilligend mit der Zunge schnalzen, während sie sich daranmachen, die Auswirkungen von Sonne, See und Salz von den Haaren des Kindes zu beseitigen. Sie werden sich gegenseitig anmeckern und sich den Kamm streitig machen, genauso wie sie sich am Morgen freundlich darum gestritten haben, wer der Kleinen ihren Badeanzug anziehen, den Rücken mit Sonnenlotion einreiben und sie auf die Suche nach ihren Sandalen schicken durfte. Das ganze Unternehmen war ihnen unbegreiflich, denn sie waren Dörflerinnen aus dem trockenen Landesinneren, die ihr Leben gegen die Hitze und den Staub von Kopf bis Fuß vermummt verbracht hatten. Aber sie nahmen ihre Rollen ernst und zelebrierten die Einkleidung des Kindes mit solcher Überzeugung, dass Kais Cousine,
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