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Liebling, Ich Kann Auch Anders

Liebling, Ich Kann Auch Anders

Titel: Liebling, Ich Kann Auch Anders
Autoren: Annette Kast-Riedlinger
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eines Programmkinos kennengelernt, als sie diesen alten Film anschauen wollten. Die Gardner, die während der Fünfzigerjahre von vielen als die schönste Frau der Welt bezeichnet wurde, hatte es ihnen so angetan, dass sie zwei Jahre nach dem schicksalsträchtigen Kinobesuch ihrer Tochter den Namen Ava geben wollten. Ein engstirniger Standesbeamter spielte da jedoch nicht mit. Folglich einigte sich Papa Gallus mit ihm auf Eva.
    Aber absurd ist das Verhalten der Alten ja schon: Einerseits soll die Tochter den Namen der einst schönsten Frau der Welt tragen, und wenn sie dem dann alle Ehre machen würde, reden sie ihr ein, sie sei hässlich.
    Ich heiße übrigens nach meiner Großmutter mütterlicherseits Elisabeth. Die Abkürzung Eliza ist eine kleine kosmetische Korrektur, die ich mir während meiner Pubertät erlaubt habe, um die Fesseln der familiären Bande etwas zu lockern. Und der Name ist mir dann geblieben, außer in meinem Familienkreis, der überwiegend aus fundamentalistisch protestantischen Frauen besteht.
    Sibylle verdankt ihren Namen der Sibyllen-Sage. Aber nicht etwa der griechischen. Ihr Vater stammt von der schwäbischen Alb. Und da spielt Sibylle, die Königin mit den bösen Söhnen, eine ganz besondere Rolle als mystische Person, die an Demeter bzw. Ceres erinnert. Als sie in einer von vier galoppierenden Rössern gezogenen Kutsche vor ihren garstigen Söhnen floh, wuchs in den Spuren des Wagens auf den Feldern anschließend das Getreide kräftiger. Und das tut es angeblich noch heute. Bei unserer Freundin Sibylle würde ich eher sagen, wo sie drüberfegt, wächst anschließend kein Gras mehr.
    Aber zurück zum Thema: Leonardos Mama dachte an den genialen Maler, der so viele schöne Frauen in anbetungsvoller Weise porträtiert hatte. Leonardo, das war der richtige Name für ihren ersten Sohn, dem vielleicht nebst diesem Namen auch das Einfühlungsvermögen und das künstlerische Genie in die Wiege fallen würden.
    Der Vater, ein erfolgreicher Architekt, dachte beim Namen Leonardo an Leonardo da Vinci, den genialen Erfinder, Ingenieur und Architekten. Ganz klar – Leonardo! Dieser Name würde dem Knaben die nötige Motivation verleihen, sich in den Naturwissenschaften ins Zeug zu legen, um eines Tages zum würdigen Kompagnon und Nachfolger seines Vaters heranzuwachsen!
    Ich darf Ihnen verraten: Leonardo wuchs weder zum genialen Maler noch zum genialen Naturwissenschaftler heran. Das Einzige, worin er seinem leuchtenden Leitstern Folge leistete, ist die sexuelle Orientierung. Mit vierzehn dämmerte ihm, dass er schwul sein könnte. Mit fünfzehn hatte er die Gewissheit.
    Wie ein weibliches Wesen beschaffen ist, erfuhr er dennoch recht früh ziemlich genau. Jahrelange Doktorspiele mit Eva und die heimlichen Zuchtversuche mit allem möglichen Getier, das sich in Kartons verstauen ließ, legten bei beiden schon in früher Jugend einen Grundstock für weit mehr als theoretische Einblicke.
    Meine Aufklärung verlief zugegebenermaßen weniger naturnah. Meine ersten Fragen beantwortete meine Mutter auf sehr blumige Weise, später legte sie mir dann ein ziemlich albernes Aufklärungsbuch hin, aber da hatte ich bereits Bravo entdeckt und fühlte mich in aller Heimlichkeit bestens informiert. Den Feinschliff verpasste mir dann Jahre später Eva, die damals für diesen Sektor als die kompetente Person galt und in ihrer Studentenbude regelrecht Hof hielt, um weniger Informierte aufzuklären.
    Ihr Interesse, die Geheimnisse der Sexualität zu ergründen, war seit ihrer Kindheit keineswegs ermüdet. Doch nach dem Abi beschränkte es sich nicht mehr auf Beobachtungen, sondern sie gab sich dem praktischen Treiben intensiv hin.
    Mit Leonardo blieb sie die ganzen Jahre befreundet und er war jeweils der Erste, dem sie neue Erkenntnisse mitteilte. Was er umgekehrt auch tat. Allerdings weit detaillierter als sie. Und deswegen war Eva in Leonardos Augen eindeutig mitverantwortlich für sein Liebesleben.

     
    Eines Abends Ende Januar letzten Jahres kam sie zu mir hoch in meine Wohnung und verkündete, Leonardo habe angerufen und sie fürchte, er drehe durch, weshalb sie unbedingt nach Konstanz fahren müsse.
    »Uwe?«, fragte ich, denn ich war natürlich auch über Leonardos Beziehungsdesaster informiert.
    »Indirekt. Er ist sicher der Auslöser«, antwortete Eva. »Leonardo hat sich wild entschlossen ins Internet gestürzt, um da einen Partner zu suchen und ist nun so am Boden zerstört, dass er dringend meiner
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