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Liebling, Ich Kann Auch Anders

Liebling, Ich Kann Auch Anders

Titel: Liebling, Ich Kann Auch Anders
Autoren: Annette Kast-Riedlinger
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dreißigsten Geburtstag, unter zahlreichen neidischen Blicken und staunend geöffneten Mündern. Wie bereits erwähnt, legt Sibylle großen Wert auf Stil, seit ihr Eva beigebracht hat, wie sie das Besteck richtig halten muss.
    Heute ist sie sogar Image- und Stil-Beraterin für Leute, die es sich leisten können, ihre astronomischen Honorare zu bezahlen.
    »Ach wissen Sie, ich glaube, hier finden wir nichts, was Ihnen wirklich angemessen wäre. Fliegen wir doch nach Mailand!« Worte, die ihr über die Lippen gehen wie anderen Leuten etwa der Satz: »Oh, das Fachinger ist alle? Dann nehmen wir eben Volvic.«
    Ja, es ist nicht wichtig, wann und wie wir etwas lernen. Wichtig ist, was wir mit dem Erlernten anfangen. Während Sibylle das Studium nach zwei Semestern abbrach, da ihr damaliger Verlobter ihr eine Karriere als Fotomodell versprach, studierten Eva und ich brav weiter, um schließlich unsere Magisterprüfungen zu absolvieren.
    Sibylles Modelkarriere war zwar ebenso ein Schuss in den Ofen wie ihr Studium, aber im ersten Semester lernte sie Eva kennen. Das war das Essenzielle – zumindest als Startbasis ihres heutigen Wohlstands und als Eintrittskarte in entsprechende Kreise.

     
    Wir sitzen um den Couchtisch, knabbern Kaviar-Apéro-Häppchen und trinken Champagner.
    »In Brasilien soll das Silikon knapp werden«, berichtet Sibylle. Und gleich darauf lacht sie, weil sie unsere Blicke ganz richtig interpretiert. Amüsiert hält sie ihre bemerkenswerten Brüste mit beiden Händen fest und schiebt sie noch etwas höher. »Keine Sorge, ich hab bereits genug davon!«
    Sibylle ist unter uns die eindeutige Königin der Dreistelligkeit: Dreistellige Oberweite, dreistelliges Jahreseinkommen in Tausendern, dreistellige Anzahl von Schuhen in ihrem begehbaren Schrank, den sie grundsätzlich als ›walking closet‹ bezeichnet, was manche Leute verwirrt, und dreistellige Summe absolvierter Affären.
    »Also, seit dieses Supermodel mit dem großen Busen das fette Geschäft macht, sind die Brasilianerinnen plötzlich wild auf Riesenbrüste, obwohl das bislang überhaupt kein Thema war. Da haben sie sich in erster Linie um ihre Kehrseite gekümmert.«
    »Das wird umwälzende Folgen haben«, vermutet Eva.
    »Wie das?«, erkundige ich mich.
    »Um hundertachtzig Grad«, erwidert Eva grinsend.
    »Aha?«
    »Aja! Das heißt, bislang war offenbar a Tergo angesagt …   «
    Mir kommt eine Horde Paviane in den Sinn. Ich sehe sie von hinten. Sie leuchten zu Werbezwecken.
    »Ist doch logisch! Wenn sich die Frauen nun die Brüste auf…« Eva wirft Sibylle einen schnellen Blick zu und hält inne, »… aufpolstern lassen – ist das korrekt ausgedrückt, Sibylle?«
    Die nickt milde lächelnd.
    »… dann wird das doch zweifellos auch ein verändertes Paarungsverhalten nach sich ziehen. Die Frauen wollen ihre Brüste zeigen, die Männer beim Akt die Brüste sehen. Also: Missionarsstellung.«
    »Kann ja auch gut sein.«
    »Klar, alles ist gut, wenn es gut ist.«
    »Und guttut.«
    So schnell geht das. Wir sind wieder mittendrin.

     
    »Meine Mutter, der auch kaum was gewachsen ist, hat mich immer getröstet und gesagt, flachbrüstige Frauen seien intelligenter«, enthülle ich meinen beiden reichlich versorgten Freundinnen süffisant.
    »Da Zusammenhänge herzustellen, ist ebenso daneben, wie von der Nase des Mannes auf seinen Piephahn zu schließen«, tönt Sibylle. »Da bin ich schon bös reingefallen!«
    Wir haben unsere ganz individuelle Terminologie, was des Mannes Schmuckstücke anbelangt. Die bürgerliche Erziehung fordert ihren Tribut. Eva gab mal zum Besten, ihre Großmutter habe stets von Ochsenschweifsuppe gesprochen, weil sie das Wort Schwanz nicht über die Lippen brachte.
    Das Studium der Philologie sensibilisiert obendrein. Zwar kann es schon vorkommen, dass wir von einem Schwanz sprechen, aber doch eher selten, allenfalls dann, wenn wir im Rundumschlag über Männer reden oder respektvoll über eine Neuentdeckung. Ansonsten sage ich dazu Organ, natürlich mit gebührend ironischem Unterton. Aber so hat’s meine Mutter bei der Aufklärung genannt, und mir gefällt das Wort. Bei meinen jeweiligen Liebsten nenne ich das Organ dann Joystick oder Magic wand. Schließlich bin ich Anglistin. Eva spricht vom Schwan und von Schwänen. Sie hat einfach das Z gestrichen, was dem Instrument eine eher poetische Note verleiht: Er gleitet dahin … Wenn sie einen Schwan persönlich kennenlernt, bekommt er einen eigenen ganz
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