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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Strohhut nahm er ab und strich sich über die Haare.
    »Wir sollten uns setzen, Pawel Konstantinowitsch«, sagte er. »Und wenn Sie etwas Erfrischendes haben, wäre es noch besser. Und sprechen sollten wir miteinander … ja, das ist richtig! Mit dem Tod Karpuschins – Sie wissen doch, daß er tot ist, Brüderchen? – ändert sich vieles. Ich glaube, ich habe Ihnen ein Angebot zu machen …«
    Semjonow seufzte, und ein Gefühl von Trostlosigkeit stieg in ihm auf. General Jelankin lächelte dünn. Zur Theke sah er, dann zurück zu Semjonow, und dann hob er den Strohhut und fächelte sich Luft ins knochige Gesicht und über seine schiefe Nase.
    »Ich sehe, Sie betrachten mich als Feind, Pawel Konstantinowitsch«, sagte er. »Sie haben Sehnsucht nach Ihrer Pistole, die vielleicht nebenan im Zimmer liegt.«
    »In einer Schublade der Theke, Genosse. Zwei Schritte nur von mir.«
    Semjonow blieb an der Wand stehen. Wo ist Ludmilla? dachte er. In den Basar wollte sie, um für Nadja neue Kleidchen zu kaufen. Das kann eine Stunde dauern, oder auch zwei. Möge Gott es so einrichten, daß sie nicht früher nach Hause kommt, als bis auch dieses Gespräch beendet ist. So – oder so … wie es sein muß. Rußland ist nicht mit Karpuschin gestorben – wie konnte man sich diesem Wahn hingeben?
    »Ein unhöflicher Mensch sind Sie, Pawel Konstantinowitsch«, sagte Jelankin nach einer längeren Pause.
    »Warum, Fjodor Timofejewitsch?« Semjonows Stimme war wie eingerostet.
    »Ich hatte eben gesagt, daß ich etwas Erfrischendes von Ihnen erwarte. Einen Fruchtsaft, ein Glas gekühlten Wein, einen Wodka mit Sodawasser …«
    »Ich habe einen guten Wein, Genosse Jelankin.«
    »Das ist mir das liebste.« General Jelankin sah sich um. »Wo trinken wir ihn? Zwischen den Teppichen. Ehrlich, Pawel Konstantinowitsch, sie stinken! Ein ästhetischer Mensch bin ich; sogar bei der Schlacht am Donbogen hatte ich eine leicht nach Rosen duftende Seife mit und wusch mich dreimal täglich.«
    »Gehen wir in das Hinterzimmer, Fjodor Timofejewitsch.« Semjonow ging an der Theke vorbei, und er wußte, daß Jelankin ihn scharf beobachtete. Was würde er tun, wenn er in die Lade griff? War er bewaffnet? Aber Semjonow griff nicht nach der Nagan … Mit ruhigen Schritten ging er voraus, und Jelankin folgte ihm in das kleine, dumpfe, muffige Stübchen, in dem Semjonow stundenlang saß und auf Kundschaft wartete, Briefe mit Werbeprospekten schrieb und viel Zeit hatte, nachzudenken. Mit einer Handbewegung wischte er ein paar deutsche Zeitungen vom Tisch, schob einen alten Stuhl zurecht und nickte Jelankin zu.
    »Meine Welt ist klein geworden, Fjodor Timofejewitsch«, sagte er. »Von der Unendlichkeit der Taiga ist mir ein winziger, nach gewaschenen Teppichen riechender Raum geblieben. Aber ich bin glücklich, und ich bin frei! Ludmilla erwartet unser zweites Kind, und es soll ein Junge werden, so wünscht sie es sich. Ein Junge, frei geboren in einem weißen Bett, in einem sonnigen Zimmer, in saubere Tücher gewickelt, und nicht in einer Hütte auf einem Lager aus getrockneten Blättern wie ein Wolfsjunges geworfen, während draußen der Schneesturm über Taiga und Muna heult.« Semjonow stellte sich an das kleine, fast blinde Fenster und sah General Jelankin fast traurig an. »Nun kommen Sie, Fjodor Timofejewitsch, und es fällt wieder Eis über unser Glück.«
    »Sie haben eine Art, zum Herzen zu sprechen, Pawel Konstantinowitsch, die teuflisch ist!« General Jelankin legte seinen Strohhut auf den Tisch und leckte über seine spröden, dünnen, etwas bläulichen Lippen. »Sie erwarten keine Freundschaft?«
    »Nicht aus der Richtung Karpuschins.« Semjonow lächelte bitter. »Ich lief zwei Jahre lang vor seiner Umarmung davon.«
    »Ich will Sie nicht umarmen, Genosse. Ich habe ein Geschäft für Sie!«
    »Teppiche für die sowjetische Botschaft?« fragte Semjonow spöttisch. »General Jelankin, wir wollen doch keine billigen Witze erfinden.«
    »Ich habe am Don gekämpft, Pawel Konstantinowitsch. Ich war dabei, als man die Oder überquerte, und ich befehligte ein Korps bei der Eroberung Berlins. Meine Rotarmisten waren es, die auf dem Brandenburger Tor die Rote Fahne hißten, und ich stand darunter, zwischen den Säulen, und weinte vor Glück.« General Jelankin kratzte mit den Fingernägeln über den Rand seines Strohhutes. Seine schiefe Nase zitterte in der Ergriffenheit der Erinnerung. »Das ist lange her, Pawel Konstantinowitsch, die Welt veränderte ihr
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