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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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er auch Nadja ein paar Schlucke Wein gegeben, um ganz sicher zu sein, den frühen Morgen für sich allein zu haben.
    Sieben Uhr.
    Karpuschin wurde ungeduldig. Vor dem Fenster rannte er hin und her und sah auf seine Uhr, schüttelte sie und fluchte leise. Marfa hockte auf dem Stuhl, die Hände im Schoß, und sah ihm zu. Wie ein Abschied war es, ein stummer, böser Abschied.
    »Er kommt«, sagte sie, als Karpuschin zum Tisch ging und mit zitternden Händen nach einem Wasserglas griff. Karpuschin rannte zum Fenster. Semjonow war vor das Haus getreten, sah hinauf in die Morgensonne, reckte sich und holte den Krug Milch aus der Nische. Wie gut er es spielt, dachte Marfa, und sie sah Karpuschin an, dessen Gesicht glänzte, einer Speckschwarte gleich.
    »Er nimmt die Milch«, sagte sie leise.
    Karpuschin nickte, immer und immer wieder, als sei er eine aufgezogene Spielzeugpuppe.
    Mit dem Krug in der Hand sah sich Semjonow noch einmal um. Ein langer Blick war's, und Karpuschin genoß ihn wie den Schlafduft einer schönen Frau.
    »Nasdarowje!« sagte er fröhlich. Ja, ein Schrei war es fast. Ans Herz griff er sich und schwankte leicht vor Wonne.
    Dann nahm er seine Taschenuhr, ging zur Wand und warf sie dagegen. Das Glas splitterte, Federn und Räder zersprangen in dem Gehäuse, die Zeiger blieben stehen auf 7 Uhr 09. Mit glänzenden Augen hielt Karpuschin die Uhr hoch empor zu Marfa.
    »In dieser Stunde wurde Karpuschin geboren!« sagte er ergriffen. »Mein Täubchen, das ist ein historischer Morgen!«
    Von jetzt ab hatte Karpuschin es eilig. Er verließ das schmutzige Haus, ermahnte Marfa noch einmal, sofort zu kommen, wenn die Leichenträger im Hause Semjonows waren, lief durch die Gasse bis zur Moschee und nahm dort eine Taxe, die ihn ins Hotel brachte. Seinen Plan hatte er geändert. Im Hotel wollte er auf Marfas Nachricht warten und erst dann zu General Jelankin gehen und zu ihm sagen: »Genosse Fjodor Timofejewitsch, es ist geschehen! Ich werde dem Marschall berichten, wie wichtig mir Ihre Hilfe war!« Und er würde General Jelankin beschämt zurücklassen.
    Zehn Minuten wartete Marfa nach dem Weggang Karpuschins, dann verließ auch sie das Haus und ging hinüber zu Semjonow.
    Semjonow wartete im dunklen Flur auf sie. Den Milchkrug hatte er in beiden Händen, und er hielt ihn fest wie eine nicht entschärfte Bombe.
    »Geben Sie her, Pawel Konstantinowitsch«, sagte Marfa mit eisiger Ruhe. »Nur ein Fläschchen brauche ich davon. Schütten Sie den Rest in die Grube … Sie werden sehen, wie wenig Ratten Sie ab morgen haben werden.«
    Aus der Handtasche holte sie ein dunkles Medizinfläschchen und tauchte es in die Milch. Es blubberte leise, als die Luft entwich und der Tod sich abfüllen ließ, dann verkorkte sie das Flaschen, legte es zurück in die Handtasche und ging mit Semjonow in den hinteren Waschraum, seifte sich die Hände und kämmte sich mit schrecklicher Gelassenheit.
    »Sie können grausam sein, Marfa«, sagte Semjonow leise. »Grausamer als ein einsamer Wolf. Gießen Sie die Milch weg!«
    »Nein, Pawel Konstantinowitsch.« Marfa schüttelte entschlossen den Kopf. »In Jakutsk war's, in einer langen Nacht, da sprach er einmal darüber. Das erste- und das letztemal. ›Eine Brigade könnte ich mit Toten füllen, die durch meine Hände gingen‹, sagte er. Und er war stolz dabei, so etwas zu sagen. Man sollte diese Milch segnen, Pawel Konstantinowitsch.«
    Und Semjonow schwieg, wandte sich ab und stieg langsam und bedrückt von der Schwere des Schicksals die Treppe hinauf zu Ludmilla, die mit lächelnden Lippen schlief wie ein Engel auf dem Mantelsaum Gottes.
    Marfa wartete in einem Café bis zehn Uhr, ehe sie zum Hotel ›Palace‹ fuhr. Karpuschin kam ihr auf dem Flur entgegen. Am Fenster hatte er gewartet, und er hatte einen dumpfen Schrei ausgestoßen, als er Marfa aus der Autotaxe steigen sah. Nun trug er sie über den langen Flur ins Zimmer, küßte und liebkoste sie, und sie ließ es geschehen, wie man einem Delinquenten den letzten Willen läßt, ehe sein Blick bricht.
    »Mein Täubchen! Mein Adlerchen! Mein schwarzes Schwänchen!« rief Karpuschin und trug Marfa durchs Zimmer, und es war fast, als tanze er dabei. »Wann sind sie gekommen?«
    »Vor zehn Minuten, mein wilder Bär.« Marfa hielt sich an Karpuschins kurzen Haaren fest und duldete es, daß er ihre Brust küßte. »Drei Särge haben sie mitgebracht. Die ganze Familie ist ausgelöscht …«
    »Welch ein Tag!« sagte Karpuschin und setzte
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