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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sich niederzubeugen und sein Herz abzuhören, dazu war sie nicht mehr fähig. Um den Toten ging sie herum, nahm das Telefon in beide Hände und rief die sowjetische Botschaft an.
    »General Jelankin?« sagte sie mit ruhiger Stimme. »Guten Morgen, Fjodor Timofejewitsch. Ja, es ist ein herrlicher Tag. Bitte kommen Sie ins Hotel, Genosse General. Matweij Nikiforowitsch möchte Sie sprechen …«
    Eine Stunde später führte man Marfa Babkinskaja aus dem Hotel in einen Wagen der iranischen Polizei. Mit erhobenem Kopf ging sie und mit weiten, kräftigen Schritten.
    Oben, im Zimmer, deckte General Jelankin ein Tischtuch über den massigen Körper Karpuschins. Vier Offiziere stellten sich zu Häupten und zu Füßen des Toten auf, die erste Ehrenwache, bis der Sarg geliefert wurde.
    »Wir werden ihn nach Moskau bringen«, sagte General Jelankin und trat von der Leiche zurück. »Ein Staatsbegräbnis wird er erhalten, ich glaube es bestimmt. Er ist gefallen in einem gnadenlosen Kampf …«

25
    Wie jeden Morgen öffnete Semjonow seinen Teppichladen. Mit einem nassen Lappen putzte er die Fensterscheibe, denn tagsüber staubte sie zu, und man konnte sie nur putzen, wenn die Sonne noch nicht darauf schien. Dann ließ er die Ladentür offen, um den Geruch der neuen Teppiche, die nach nasser Wolle und strengen Farben rochen, hinauszulassen.
    Zu Ludmilla hatte er gesagt, daß er die Milch weggeschüttet habe, zum erstenmal sei sie sauer gewesen. »Du bist ein lieber, dummer Mensch«, hatte Ludmilla gesagt. »Hättest du sie aufgehoben, könnten wir in einigen Tagen süßen Quark essen.«
    Semjonow bestätigte das, nannte sich einen verschwenderischen Familienvater und ging nach dem Morgenkaffee, der diesmal ohne Milch war, hinunter ins Geschäft.
    Er hatte sich vorgenommen, Ludmilla nichts zu sagen von der vergangenen Nacht und dem Morgen; erst wenn Marfa kam, sollte sie alles erfahren, und das Gefühl, nun ledig aller Gefahr zu sein, würde ihr das letzte Heimweh nach Sibirien nehmen. Es scheint, dachte Semjonow, daß unser Leben zur Ruhe kommt. Eine kleine, unbekannte Familie werden wir sein, bescheiden und arm, aber wir werden glücklich sein, weil es niemanden mehr gibt, der uns dieses Leben mißgönnt.
    Nach dem Säubern der Wohnung ging Ludmilla mit der kleinen Nadja in die Stadt. Sie setzte Nadja in einen kleinen, zweirädrigen Karren mit langer, starrer Deichsel, und Semjonow winkte ihnen nach, bis sie um die Ecke zum Basar bogen.
    Ein Kunde, der einen Vorleger suchte, aber die Ware Semjonows zu teuer fand, hatte gerade den Laden verlassen, als ein hochgewachsener, dürrer Mensch eintrat, in einem weißen Anzug, einen geflochtenen Strohhut auf dem langen Schädel. Semjonow musterte ihn, denn es war ungewöhnlich, daß ein wohlhabender Käufer, und noch dazu ein Europäer, den Weg zu seinem Laden fand.
    Der dürre Mensch sah sich um, betrachtete die Teppiche, fühlte eine Knüpfung ab und ließ den Zipfel wieder fallen.
    »Gute Ware haben Sie«, sagte er unvermittelt, und Semjonow zuckte zusammen, denn der Mensch sprach Russisch. Langsam ging er zurück bis zur Wand und lehnte sich an. O nein, nichts hatte Semjonow verlernt. Den Rücken muß man frei haben, dann ist der Gegner nur noch halb so gefährlich.
    »Beste Knüpfung ist's, Genosse«, sagte er und schob die Schultern vor. Die Nagan ist in der Lade hinterm Tisch, dachte er. Auch das ist ein großer Fehler, wie man sieht. »Sie wollen einen Teppich kaufen, Väterchen?«
    Der dürre Mensch lehnte sich gegen einen Stapel lederner Sitzkissen und betrachtete Semjonow wie ein Gemälde in der Kunstgalerie. Fast ein Genuß war's, man sah es seinen Augen an, denn wo hat man schon Gelegenheit, den Menschen ruhig anzusehen, der einen Karpuschin vernichtet hat.
    »Ich bin ein friedlicher Mensch, Pawel Konstantinowitsch«, sagte der Dürre. »Es ist nicht nötig, daß Sie darüber grübeln, wie Sie an eine Waffe kommen, um mich zu bezwingen.«
    »Wer sind Sie, Genosse?« fragte Semjonow heiser. »Geht es denn weiter? Geht es immer weiter? Warum läßt man mir keine Ruhe?«
    »Ich bin Fjodor Timofejewitsch Jelankin. General der siegreichen Roten Armee.«
    »Sind Sie der Erbe Karpuschins, Genosse General?« Semjonows Hals wurde trocken. »Ich finde es fair, Fjodor Timofejewitsch, daß wir neuen Gegner uns vorstellen. Heute kann ich verstehen, warum der sterbende Wolf noch um sich beißt. Ich werde beißen, solange ich einen Willen habe …«
    General Jelankin hob die Hand. Den
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