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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Marfa ab. »Oh, welch ein Tag! Sieh hinaus … ist die Sonne wirklich gewachsen und bedeckt den halben Himmel? Ich sehe sie so … es weitet sich alles vor mir …«
    Er schob einen Teewagen heran, der in der Ecke gestanden hatte, und dabei sang er mit seiner tiefen Stimme unzusammenhängende Laute.
    »Das Frühstück, Marfuschka! Ein festliches Frühstück habe ich bestellt! Eier und Schinken und Toast und Kaviar und einen chinesischen Tee mit fetter Milch und Honig.« Er lachte, als er Marfas Augen sah, wie sie weit wurden bei dem Wort Milch. »Mein Lieblingsgetränk wird sie werden!« schrie er voll Übermut. »Milch! Ein Name ist's, der mir von heute ab auf der Zunge zerschmilzt!«
    Marfa schwieg und setzte sich. Und während Karpuschin ins Bad rannte, um aus dem Eiskühler eine Flasche Sekt zu holen, goß Marfa die Milch aus der silbernen Kanne in eine Blumenvase und füllte das Kännchen neu mit Semjonows Milch.
    Singend setzte sich Karpuschin und entkorkte die Flasche Sekt. Dann goß er sich Tee ein, tat einen Löffel goldenen, flüssigen Honig dazu und ließ aus der silbernen Kanne einen großen Schuß Milch in die Tasse laufen.
    »Du trinkst nicht, Marfuschka?« rief er fröhlich.
    »Ich habe den Sekt, mein Bär«, antwortete sie ruhig. »Wie kann man Sekt mit Tee mischen?«
    »Ich könnte heute den Himmel mit der Hölle vermählen!« schrie Karpuschin ausgelassen. »Was, glaubst du, was für Augen Jelankin macht, wenn ich nachher zu ihm komme.«
    »Augen wie ein Mühlrad, Matweij Nikiforowitsch …«
    »Auf das Leben!« Karpuschin trank einen großen Schluck Sekt, griff dann zur Teetasse und probierte den Tee. Er war nicht mehr heiß, und mit dem Vergnügen des morgendlichen Genießens öffnete er den Mund und trank mit drei langen Schlucken die Tasse leer.
    »O Marfuschka!« rief er und setzte die Tasse ab. »Wie süß schmeckt alles, wenn man wieder ein Mensch ist mit Zukunft …«
    Marfa Babkinskaja schwieg. Klein waren ihre Augen, und sie beobachtete Karpuschin wie eine Schlange, die vor dem Loch einer Maus sitzt.
    Noch nicht drei Minuten dauerte es. Über Karpuschins Gesicht zog, eine fahle Blässe, die Lippen färbten sich bläulich, und die Augen bekamen rote Ränder. Er schwankte auf dem Stuhl, und seine Hände tasteten sich zum Magen.
    »Was ist das?« flüsterte er. Aufspringen wollte er, aber es war keine Kraft mehr in seinen Beinen, die Knochen waren wie erweicht, er stolperte, hielt sich am Tisch fest und sank mit einem dumpfen Ächzen in die Knie. Seine Stirn schlug gegen die Kante, und von den Fußsohlen aufwärts fuhr ein Zittern durch den ganzen schweren Körper.
    »Marfuschka«, stöhnte er. »Was ist das? O Himmel, was ist das? Wo bist du, Marfuschka? Wo bist du, mein Engelchen?«
    Er kroch umher, erst auf den Knien, dann auf Händen und Füßen wie ein angeschossener Hund und heulte leise. Der Kneifer zersplitterte auf dem Boden, aber die Augen brauchten ihn nicht mehr; blutunterlaufen starrten sie aus dem bleichen Gesicht, und sie waren blind und ohne Seele.
    »Marfuschka!« brüllte Karpuschin. Auf den Rücken wälzte er sich, schlug mit den Beinen auf die Dielen und hob die Fäuste. »Hilf mir, Engelchen! Hilf mir … Wo bist du denn? Was ist mit mir? Oh, ich liebe dich, dich nur, dich nur … bleibe bei mir, Engelchen …«
    Marfa Babkinskaja starrte den Sterbenden an. Die Beine hatte sie empor auf den Stuhlsitz gezogen, das Haar fiel ihr ins Gesicht, und so hockte sie wie eine schwarze Katze und betrachtete den Mann, der sich brüllend wälzte und nach ihr, seinem Engelchen, schrie. Und sie wußte in diesen schrecklichen Minuten, daß es keine Zukunft gab bei Semjonow und seinem Laden, daß es sinnlos war, wegzulaufen vor dem, was sie für immer in sich aufnahm, dieses fürchterliche Sterben Karpuschins, das einem anderen gegolten hatte, ein Sterben, in dem er um Liebe flehte, und es war die Wahrheit, die letzte, bitterste Wahrheit, die Karpuschin zu verschenken hatte.
    Auf dem Rücken lag er nun, seine Beine zuckten noch, und aus den Mundwinkeln lief ihm der Speichel, schaumig und grünlich. Kein schöner Anblick war es … Kalt lief's einem über den Rücken, wenn seine toten Augen in den Höhlen rollten und die Sonne suchten.
    »Wo bist du?« fragte Karpuschin leise. Die ewige Ruhe glitt über ihn … nach den Schmerzen der Hölle wehte die Kühlung der Ewigkeit ihn an. »Mein Engelchen … bleib …«
    Marfa Babkinskaja wartete, bis sie sicher war, daß Karpuschin gestorben war.
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