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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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antwortete Semjonow ruhig.
    »Jawohl!« schrie Luckroth. »Wir haben einen Namen wieder aufgebaut, man grüßt uns wieder in der Welt, wir geben Milliarden für Entwicklungshilfe her, gut verdientes Geld, um im Ausland unser Ansehen zu stärken und einen Schild gegen den Kommunismus und Bolschewismus aufzurichten! Und Sie? Semjonow nennen Sie sich, ein Deutscher nennt sich wie ein Russe! Pfui, das ist alles, was da zu sagen ist. Pfui!«
    Semjonow schwieg. Mit gewölbten Lippen sah er Luckroth an, ein gerötetes Gesicht mit blauen Äderchen in den Wangen und etwas vorquellenden blauen Augen.
    »Waren Sie in Rußland?« fragte Semjonow leise.
    »Werden Sie nicht frech!« schrie Luckroth.
    »Kennen Sie den russischen Menschen? Wissen Sie, wie der kleine Muschik denkt, der sein Soll erfüllen muß, ob die Sonne ihm alles verbrennt oder Hagel die Frucht zerschlägt? Er muß sein Soll erfüllen! Wissen Sie, wie die Menschen am Jenissej leben, in den Holzlagern und Sägewerken? Haben Sie gesehen, wie man Staudämme baut mitten in einem Urwald oder Straßen hinauf zum Eismeer, wo jeder Meter Boden aufweichen müßte von dem Blut der Gestorbenen, nein – der elend Verreckten?«
    Luckroth zog die Nase hoch. Es war, als röche er den Gestank schwitzender Männer.
    »Das russische Volk will es ja so«, sagte er abweisend. »Warum jagt es die Burschen im Kreml nicht davon?«
    »Wer von uns hat damals Hitler davongejagt?« fragte Semjonow zurück.
    Herr Luckroth machte sich steif und sah deutlich auf die noch offenstehende Tür. »Mit Ihnen zu diskutieren ist sinnlos! Habe ich es nötig? Wir haben uns jedenfalls zum letztenmal gesehen …«
    Semjonow fuhr in die Stadt zurück. Nichts erzählte er Ludmilla von diesen Erkenntnissen, wie schwer es war, ein freier Mensch zu sein und leben zu wollen in Ehrlichkeit und Anstand. Ludmilla war glücklich, und sie sollte es bleiben. Sie lauschte nach innen, wo ihr zweites Kind heranwuchs, und sie sagte zu Semjonow:
    »Pawluscha, es wird ein Junge werden. Ganz bestimmt! Ich fühle es. Stark ist er schon, er drückt mir fast die Luft ab. Das war bei Nadja nicht.«
    Und dann lagen sie wieder umschlungen in dem neuen breiten Bett, sahen hinaus in die Nacht und auf das Minarett der Ali-Moschee, das über den Dächern in den Himmel betete, direkt vor ihrem Fenster.
    »Bist du glücklich?« fragte Semjonow einmal.
    »Ja, Pawluscha. Sehr …«
    »Du hast kein Heimweh?«
    »Nicht wenn du bei mir bist! Aus deiner Haut strömt noch der Duft der Taiga … nie wird er vergehen.« Und sie kroch an ihn, legte den Kopf in seine Achsel und vergrub ihr Gesicht in seinem angewinkelten Arm.
    An alles das dachte Semjonow, als er jetzt hinter der Theke saß und auf die Straße blickte. Dann klingelte die Tür, ein Kunde betrat den Laden. Es war eine junge Frau, deren Gesicht Semjonow im Gegenlicht nicht erkennen konnte. Aber als sie sich umdrehte, sprang er auf und machte einen mächtigen Satz zur Tür, stellte sich wie ein Wall davor und duckte sich wie ein Raubtier in der Falle.
    »Marfa Babkinskaja«, sagte Semjonow dumpf.
    »Ja, Pawel Konstantinowitsch.« Marfa lehnte sich an die Theke und sah Semjonow mit großen Augen an. Welch ein Mann, dachte sie. Vor zwei Jahren in Moskau, da zuckte das Herz, als er seine Hand auf mein Knie legte … auf der Fahrt ins Hotel ›Moskwa‹, in einer Taxe vom Flugplatz. Und später, im Botanischen Garten, das war das letztemal, daß ich ihn sah. Da war er schon Semjonow, und doch war er anders als die anderen Männer. Er strahlte in mich hinein, und ich schrie nicht: Haltet ihn! Sondern ließ ihn in der Menge verschwinden.
    »Wo ist Karpuschin?« fragte Semjonow mit heiserer Stimme. »Wo Sie sind, ist auch Karpuschin!«
    »Matweij Nikiforowitsch sitzt im Hotel ›Palace‹ und bewacht ein Tütchen mit Gift. Für Sie ist es bestimmt, Pawel Konstantinowitsch.«
    »Wie haben Sie mich entdeckt?«
    »Karpuschin hat Sie entdeckt. Der Geheimdienst arbeitet gut – wem sage ich das, Semjonow?«
    »Und warum sind Sie jetzt hier, Marfa Babkinskaja? Weiß Karpuschin von Ihrem Besuch? Will er mich in Panik versetzen? Soll ich Ludmilla, das Kind und mich selbst umbringen, bevor er kommt?«
    »O Himmel, nein, Pawel Konstantinowitsch.« Marfa hob beide Hände, eine Geste wie eine Ergebung, war es, und Semjonow wunderte sich. »Ich will Sie retten.«
    »Marfa, Sie – mich?«
    »Warum wundern Sie sich, Semjonow?«
    »Gibt es eine glühendere Kommunistin als Sie? Zwei Jahre hetzen Sie mich
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