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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
Autoren: Zeruya Shalev
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plötzlich vom Himmel, als würde jemand auf ihn schießen und er suchte zwischen den schwarzen Nadeln und Zapfen Schutz.
    Stütz dich auf mich, wenn dir das Gehen schwer fällt, ermutige ich ihn, aber er geht aufrecht und angespannt weiter, obwohl er die Füße kaum von dem schwarzen Asphalt heben kann, sein Arm ist wie versteinert, sein Atem ist warm und seine Haut verströmt den säuerlichen Geruch von Krankheit. Wir spiegeln uns in den Glasscheiben des Cafés, dünn, dunkel, langsam, wie zwei Uhrzeiger, an unserem Ecktisch, unter der Plastikfolie, die bald, mit Beginn des Sommers, heruntergenommen werden wird, sitzt jetzt ein anderes Paar, das vor Glück strahlt, wie wir damals, das ist der Lauf der Welt, stelle ich ohne Groll fest, der Lauf der Welt.
    Zu Hause angekommen, führe ich ihn vorsichtig zum Bett, ich ziehe ihm die Schuhe aus und lege ihm die Hand auf die Stirn, du hast Fieber, sage ich und mache ihm gleich einen Tee mit Zitrone und schaue zu, wie er trinkt, willst du noch einen Tee, willst du etwas zu essen, frage ich und versuche, seine zusammengepressten Lippen zu einer Antwort zu bewegen. Es ist in Ordnung, Ella, ich will nur ein bisschen ausruhen, murmelt er schließlich, und schon fallen ihm die Augen zu, mir ist kalt, flüstert er, ich decke ihn zu und betrachte ihn besorgt, halte dich fern von ihm, er ist krank, hat meine Mutter einmal zu mir gesagt, und jetzt denke ich, das ist es, was Dina gemeint hat, vielleicht wird es Zeit, dass ich einmal mit ihr rede, nach all diesen Monaten, um herauszufinden, wovor sie mich gewarnt hat, aber ich zögere, meine Hand weicht vor dem Telefon zurück, und statt sie anzurufen, erkundige ich mich bei der Auskunft nach der Nummer des Hauses im Dorf, am Ende der Straße, mit den Holzstufen, die zum Eingang hinaufführen. Hier ist Ella, sage ich, als ich Ornas ungeduldige Stimme höre, ich war vor ein paar Wochen mit Oded bei euch, ich muss dich um Rat fragen, und als ich anfange, ihr seinen Zustand zu beschreiben, unterbricht sie mich und sagt, das war zu erwarten, Ella, ich habe dich gewarnt, er hat seine eigenen Methoden, sich zu distanzieren, ja, er hatte schon einige kurze Zusammenbrüche dieser Art in der Vergangenheit und er hat sie überwunden, nein, er wurde noch nie in die Psychiatrie eingewiesen, mach dir keine Sorgen, er wird sich fangen und wieder so werden wie vorher, das ist kein Grund, bei ihm zu bleiben oder ihn zu verlassen, aber wenn du dich entscheidest, bei ihm zu bleiben, musst du deine Einstellung ändern, dann musst du dich so verhalten, als hinge alles nur von dir ab.
    Als ich ins Schlafzimmer zurückgehe und mich zu ihm auf den Bettrand setze, fällt mir ein, wie ich Gili stundenlang in den Armen gewiegt habe, wenn er krank war, wie ich nicht gewagt habe, auch nur eine Sekunde innezuhalten, aus Angst, er könnte aufwachen, wie ich all meine eigenen Bedürfnisse ignoriert habe, und wie viel Freiheit lag doch in dieser vollkommenen Selbstaufgabe, wie viel Kraft, die alle Sorgen und Zwänge vertrieb, und als ich jetzt diesen Mann betrachte, der zwischen den Decken liegt, breitet sich eine sanfte Ruhe im Zimmer aus, denn mir ist, als würde ich den Schlaf jenes Jungen bewachen. Mein Sohn wächst und braucht mich immer weniger, an seiner statt ist mir plötzlich ein sonderbarer, verwirrender Ersatz geboren worden, ich hoffte, er würde mich unter seine Fittiche nehmen, ich versuchte, mich unter seine Flügel zu schmiegen, und habe dort keinen Platz gefunden, und ausgerechnet seine Hilflosigkeit schenkt mir eine einzigartige Ruhe, so etwas wie Glück, das Gefühl vollkommener Liebe, wie ich sie Amnon gegenüber nie empfunden habe. Sein Adamsapfel bewegt sich, sein Gesichtsausdruck verändert sich schnell, sein Mund öffnet und schließt sich, als versuchte er, mich zu überreden, als versuchte er, etwas zu versprechen, als flehte er um sein Leben, und mir ist, als würde ich die Bilder seiner Kindheit auf seinem Gesicht sehen und zugleich die zukünftigen Bilder seines Alters, ein ganzes Leben, das zwischen vollkommenem Glück und vollkommenem Versagen schwebt, und ich hebe die heruntergefallene Decke auf und lege sie über ihn, setze mich an den Computer, der in der anderen Ecke des Zimmers steht.
    Wer zerstörte den schönsten Palast, damit niemand dorthin zurückkehren konnte, das Haus der doppelten Äxte, das große Labyrinth, welche geheimnisvolle Kraft hat diese erste vollendete europäische Kultur weggewischt, das Atlantis Platos, wer
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