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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
Autoren: Zeruya Shalev
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mich deckte, aber der siegessichere Ton in ihrer Stimme war nicht zu überhören, es war einfach nicht zu leugnen, daß in dem Wettkampf, den wir seit zwei Jahren um eine Stelle als Lehrbeauftragte führten, jede Schlamperei von mir ein Punkt zu ihren Gunsten war, auch wenn niemand sonst davon erfuhr, Hauptsache, wir beide wußten es.
    Es lohnte sich schon nicht mehr, zur Universität zu fahren, deshalb setzte ich mich an einen Tisch vor dem Café, der seltsame Umzug war verschwunden, aber die seltsame Stimmung war geblieben, ich betrachtete die ausgebleichten Bäume, die von hohen Zäunen umgeben waren, als schmiedeten sie geheime Fluchtpläne, und die alten Häuser, nur die oberen Stockwerke waren renoviert, aber wer schaute schon so weit hinauf, in Augenhöhe sah man nur die armseligen alten Läden, die Armeezubehör anboten, Rangabzeichen, Uniformen, aussortierte Fahnen, und auf dem löchrigen Straßenpflaster spazierten lebendige Menschen herum, bewegten ihre Hände und Füße im gleichen Takt, als hätten sie sich abgesprochen, zwischen den Schreitenden flitzte ein dunkler Junge hin und her und bot Pfauenfedern zum Verkauf, riesige farbige Augen schwankten an dürren Stengeln, aber niemand wollte sie haben. Ich fragte mich, ob all die Leute, die hier herumliefen, jemals gefühlt hatten, was ich vor wenigen Minuten gefühlt hatte, es war wie Feuerschlucken, ich hatte schon immer wissen wollen, wie das ist, Feuerschlucken, was man im Augenblick bevor man die brennende Fackel in den Mund steckt, empfindet, was, wenn sie drin ist und die Gefahr besteht, seine zarten Schleimhäute für immer zu verlieren, und jetzt wußte ich es, aber was nützte mir dieses Wissen, was fing ich damit an? Ich dachte an sein zusammengerolltes Glied in der Unterhose, an die junge Frau mit der präzisen Frisur, wer war sie überhaupt, und hoffte, sie sei seine Tochter, glaubte es aber nicht wirklich, um seine Frau sein zu können, war sie zu jung, und wohin waren sie gegangen mit der vollen Tasche und der vollen Unterhose, warum hatten sie mich nicht mitgenommen, denn ich hatte etwas verloren, dort in der engen Umkleidekabine, ich hatte einen Schatz verloren, von dem ich überhaupt nicht gewußt hatte, daß ich ihn besaß, das Nichtwissen, wie es ist, wenn man Feuer schluckt, denn jetzt, wo ich es wußte, verspürte ich einen schrecklich faden Geschmack, weil alles, was weniger war als das, mich nicht mehr begeistern würde.
    Auf einmal packte mich ein Schwächeanfall, ein plötzliches Erschlaffen aller Glieder, ich ließ den Kopf auf den kleinen, runden, von der Herbstsonne erwärmten Tisch fallen wie auf ein Kissen und versuchte, mich an meinen Lebensplan zu erinnern, an die Abschlußarbeit, die ich bis zum Jahresende einreichen mußte, an das Baby, das wir nach der Dissertation machen wollten, die Wohnung, die wir nach dem Baby kaufen würden, dazwischen die Abendessen, die einmal Joni machte, einmal ich, die Treffen mit dem Dekan, der mich bewunderte und der an meine Zukunft glaubte, an die Kleider, die ich in engen Umkleidekabinen anprobieren würde, aber das alles kam mir auf einmal verstaubt vor, als sei ein Wind aus der Wüste gekommen und habe die ganze Welt mit einer dünnen grauen Sandschicht bedeckt. Ich erinnerte mich, daß mir so etwas schon einmal passiert war, so ein Absturz, nicht ganz so heftig, aber andeutungsweise, als Warnung, damals, vor ein paar Jahren, kurz nach dem Militär, hatte ich mich in jemanden verliebt, der neben einer Bäckerei wohnte, und in der einzigen Nacht, die ich mit ihm verbracht hatte, roch das ganze Bett nach frischem Brot, aber danach hatte ich ihn nicht wiedergesehen, und mir war, als wäre die ganze Frische meines Lebens in seinem Bett zurückgeblieben, nur weil er neben dieser Bäckerei gewohnt hatte und seine Laken nach frischem Brot rochen. Eine ganze Weile hatte ich damit zu kämpfen, doch bald darauf lernte ich Joni kennen und versuchte, den anderen zu vergessen, und nur wenn ich frisches Brot roch, dachte ich noch an ihn, und jetzt mischte sich in meiner Nase der Geruch von frischem Brot mit dem des Feuers, das in meinem Kopf brannte, Arie Evens Kohlenaugen hatten mich wie Kugeln getroffen, ich zitterte, er hatte den Gang eines Jägers, den Blick eines Jägers, ich sah ihn vor mir, auf dem Gehsteig, mein Körper hing wie tot über seiner Schulter. Ich unterdrückte einen Schrei, sprang auf und begann zu rennen, wie die Tiere im Wald, wenn sie einen Schuß hören, und erst auf der
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