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Lieber Onkel Ömer

Titel: Lieber Onkel Ömer
Autoren: dtv
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Kinder grüßen Euch selbstverständlich auch und küssen den Älteren mit viel Respekt die Hände und den Jüngeren
     mit viel Liebe die Augen.
     
    Pass gut auf Dich auf, bleib gesund, iss genug Knoblauch und danke fünfmal am Tag Allah, dass Dir kein Mensch unter dem Vorwand
     der Integration deinen knusprigen Döner wegnimmt!
     
    Dein Dich über alles liebender Neffe aus dem bitterkalten Alamanya

    |245| PS: Lieber Onkel Ömer, als ich gestern von Halle 4 nach Hause ging, sah ich mitten auf dem Bahnhofsvorplatz einen Mann eifrig
     auf eine Frau einprügeln.
    Fünfzehn bis zwanzig Menschen schauten aus sicherer Entfernung neugierig zu, und fünfzig bis sechzig weitere Leute gingen
     einfach uninteressiert weiter – so wie ich auch. Man soll sich ja in die Angelegenheiten fremder Familien nicht einmischen.
     Erst recht nicht in Frau-Mann-Beziehungen. Bei genauerem Hinschauen sah ich aber total schockiert, dass die Familie keine
     richtige Familie und der Mann auch kein richtiger Mann war, sondern mein kommunistischer Sohn Mehmet. Und die Frau war unser
     Dauergast. Stell dir mal vor, die arme Frau wurde mitten in der Stadt vor den Augen von mindestens tausend Leuten von Mehmet
     brutal verprügelt, und kein Mensch sagte was, geschweige denn ging dazwischen, um sie zu retten.
    Ich verstand die Welt nicht mehr:
    War der verrückte Mehmet jetzt endgültig durchgedreht?
    Hatte Ümmüyanim (Ulviyanim) mich doch ausspioniert?
    Machte Mehmet sie für den Untergang des Kommunismus verantwortlich?
    Drehten die beiden hier womöglich einen Film?
    Dann lief ich sofort zu den beiden hin, zerrte sie auseinander und klebte Mehmet eine.
    »Du Idiot«, habe ich gebrüllt, »wie kannst du es denn wagen, vor Tausenden von Leuten eine wehrlose Frau zu verprügeln – selbst
     wenn sie eine Spionin ist?«
    Lieber Onkel Ömer, Mehmet war wirklich durchgedreht: Mit dieser dummen Aktion wollte der Trottel Frau Ümmüyanim (Ulviyanim)
     beweisen, dass in Deutschland die |246| Zivilcourage nicht groß- und oft sogar nicht mal kleingeschrieben wird. Er wollte ihr deutlich vor Augen führen, dass kein
     Mensch eine Frau retten würde, sollte sie mal von ihrem Ehemann mitten auf der Straße brutal zusammengeschlagen werden.
    In der Türkei wären aber sehr viele Leute zu Hilfe geeilt – um dem Mann zu helfen, natürlich! Seine Familie hätte dem jüngsten
     Spross eine Waffe in die Hand gedrückt, damit er für seinen älteren Bruder das Problem lösen würde.
    Du fragst sicher, warum Mehmet das getan hat? Ich würde sagen, frag lieber nicht danach. Ich habe schon vor vielen Jahren
     damit aufgehört, hinter jedem blödsinnigen Tun Mehmets einen Sinn zu suchen. Schlaf lieber. Ich kann’s wieder nicht, ich habe
     mich sooo aufgeregt. Gute Nacht!

Mein Geburtstag
    Mein lieber Onkel Ömer,
     
    wie geht es Dir, und wie geht es meiner lieben Tante Ülkü? Wie geht’s der hübschen Kuh Pembe, wie geht’s der schwarz gepunkteten
     Ziege Fatima, wie geht’s Deinem störrischen Esel Tarzan, und wie geht’s unserem guten alten Dorfvorsteher Hüsnü?
     
    Lieber Onkel Ömer, Du weißt doch, was eine Geburt ist, nicht wahr? Alle Deine Rinder kalben doch jedes Jahr, und Du selbst
     hast auch schon fünf Rinder … Entschuldigung, ich meine natürlich Kinder, in die Welt gesetzt. Nicht Du persönlich selbstverständlich,
     sondern eher meine Tante Ülkü. Deine Aufgabe während dieser Zeit war es, im Männercafé mit Deinen Kumpels darum zu wetten,
     ob es ein Mädchen oder ein Junge wird. Eine Aufgabe, die Du immer tapfer gelöst hast. Und da Du nur Söhne hast, mussten jedes
     Mal die gesamten Raki-Vorräte des Dorfes daran glauben.
    So weit, so gut, aber was Du nicht weißt, ist, was eine Geburtstagsfeier ist, weil unser geliebter Opa, Allah hab ihn selig,
     allen in der Familie immer wieder eingebläut hat, dass man als Moslem keinen Geburtstag feiern darf. Das sei nämlich eine
     Erfindung der Ungläubigen und eine große Sünde. Na ja, der Opa hat damals der Oma nicht mal erlaubt |248| , in der eigenen Wohnung ein Foto von ihren Kindern an die Wand zu hängen, weil doch nur Gott Menschen erschaffen darf. Dass
     ein kleines Foto noch kein vollständiger Mensch ist, dieses Argument hat er nie gelten lassen. Er hat sogar den Spiegel immer
     mit einem dicken Handtuch zugehängt, damit ja kein menschliches Antlitz hervorgezaubert wird. Meine Schulfreunde aus der Stadt
     durften aber alle ständig ihre Geburtstage feiern, und ich fand das
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