Lieber Onkel Ömer

Titel: Lieber Onkel Ömer
Autoren: dtv

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Seite des Dorfes erreichen konnte. Und das war genau drei Tage vor Neumond. Bei Allah, ein so exaktes Geburtsdatum hätte ich
     auch gern.

    Aber trotzdem, genaues Datum hin oder her, ich bin jetzt auch so weit, lieber Onkel Ömer! Ich habe mir fest vorgenommen, dieses
     Mal meinen Geburtstag zu feiern!
    Mag sein, dass die Jahre in Alamanya auf mich abgefärbt haben. Mag sein, dass all die Geburtstagsfeiern der Kollegen in Halle
     4 bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Mag sein, dass mein Opa schon lange tot ist und mein Vater dreitausend
     Kilometer weit weg wohnt und mir nicht den Hintern versohlen kann. Mag sein, dass ich nur etwas Luft durch die Gegend schmeißen
     will. Stell Dir vor, die Deutschen wissen nicht mal, dass »Luftschmeißen« die vornehme Umschreibung für Angeberei ist.
    Wie dem auch sei, ich habe auf jeden Fall beschlossen, meinen nächsten Geburtstag ganz offiziell zu feiern.Natürlich nicht
     den Tag, der bei mir im Pass steht.Das ist ja nur das Datum, an dem mein Vater, Monate nach meiner Geburt, seine Ernte in
     der Stadt verkaufte und nachmittags Zeit fand, mich offiziell anzumelden. Die Beamten bei der Meldebehörde haben es sogar
     geschafft, dieses getürkte Datum noch mal zu türken. Die dachten wahrscheinlich, dass zwei falsche Daten ein richtiges ergeben
     würden, und trugen als meinen Geburtstag das wohl einmaligste Datum der Weltgeschichte in meine Geburtsurkunde ein: den 31.
     Februar!
    Aber wen kümmert’s? Das ist doch nur blöder Behördenkram!
    In Wirklichkeit wurde ich ja am Tag des ersten Schneefalls geboren!
    |252| Das war das Datum, das sich meine Eltern gemerkt haben – nicht der 31. Februar. Und ich war immer sehr stolz darauf, denn
     den ersten Schnee hat ja schließlich nicht jeder am Geburtstag:
    »Der Mann, der am Tag des ersten Schnees geboren wurde!«
    Unser Dorfpolizist Mustafa beispielsweise wurde geboren, als das schwarz gepunktete Kalb mit den zwei Köpfen zur Welt kam.
    Ich darf also mit Recht stolz auf meinen Geburtstag sein und will ihn in diesem Jahr auf jeden Fall bejubeln.
    Meinen ganzen Bekannten in Alamanya habe ich natürlich schon Bescheid gesagt. Sie wollen alle zur Party kommen und warten
     nur noch auf den endgültigen Anruf von mir. Allerdings warte ich selber bereits seit Wochen auf den ersten Schnee in unserem
     Dorf in Anatolien und auf den Anruf meiner Mutter, dass es endlich so weit ist.
    Jeden Morgen stehe ich in freudiger Erwartung auf, schließlich könnte der Tag mein grandioser Geburtstag werden. Kein Anruf,
     und abends gehe ich wieder total enttäuscht ins Bett. Bei dem riesigen Ozonloch und der globalen Klimaerwärmung kann ich wohl
     noch lange warten, schließlich hat es doch im Dorf schon seit zehn Jahren nicht mehr geschneit. Aber es hat natürlich auch
     seine positiven Seiten. Dadurch, dass ich seit zehn Jahren keinen Geburtstag mehr habe, ist dieses Gerücht, dass das Ozonloch
     schädlich sei, endgültig widerlegt worden. Dank des Ozonlochs und der globalen Erderwärmung werde ich wohl ewig jung bleiben.
    |253| Lieber Onkel Ömer, ich sag’s nicht gerne und sag Du es auch nicht weiter, aber im Nachhinein wäre es vielleicht doch besser
     gewesen, wenn es damals an dem Tag meiner Geburt nicht geschneit hätte. Dann hätten sich meine Eltern ganz schnell was anderes
     überlegen und organisieren müssen, um sich das dann als meinen Geburtstag zu merken. Wahrscheinlich hätte mein Vater Dich
     gebeten, die schwarze Katze von unserer alten Nachbarin Oma Nuriye mit der Eselskarre platt zu fahren!
    »Name: Osman Engin. Haarfarbe: schwarz. Schnurrbartfarbe: schwarz. Augenfarbe: schwarz. Zukunft: schwarz. Geboren:an dem Tag,
     an dem sein Onkel Ömer die schwarze Katze von Oma Nuriye bei Neumond platt fuhr.«
    Ich finde, so wäre es doch viel besser. Ich hätte meinen Geburtstag einfach feiern können, wenn ich Lust dazu habe. Ich müsste
     dafür nur bei Neumond eine schwarze Katze platt fahren. Es muss ja nicht jedes Mal die von Oma Nuriye sein. Andere Omas haben
     auch hübsche Katzen.

    Lieber Onkel Ömer, ich küsse Dir, Tante Ülkü und allen Älteren in unserem schönen Dorf ganz herzlich mit großem Respekt die
     erfahrenen Hände und allen Jüngeren mit viel Liebe die hübschen, unschuldigen Augen.
    Eminanim und die Kinder grüßen Euch selbstverständlich auch und küssen den Älteren mit viel Respekt die Hände und den Jüngeren
     mit viel Liebe die Augen.

    Pass gut auf Dich auf, bleib gesund,

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