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Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise
Autoren: Sebastian Schloesser
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aufgenommen. Kourosh kam spät und fand die Inszenierung schlecht, aus ebenden genannten Gründen. Er musste gleich nach der Vorstellung wieder nach Krefeld zurück.
    Sonya und ich haben den Abend mit Otto und seiner Frau bei unserem Stamm-Italiener ausklingen lassen. Das waren unsere größten Fans während der letzten Wochen, und heute Abend haben sie ihre gewaltigen Herzen noch einmal besonders weit für uns geöffnet. Das tut gut und ist gleichzeitig der größtmögliche Gegensatz zu den wilden Premierenfeiern im Schauspielhaus, auf denen ich früher bis in die Morgenstunden Musik aufgelegt habe.
    Jetzt ist es halb zwölf, und ich sitze bereits in meinem Kämmerlein im Christenheim auf gepackten Koffern. Ein Holodeck soll sich augenblicklich vor mir auftun und mich nach Hamburg beamen. Dieser scheußlich lange Weg.
    Ich bin voller Ungeduld, voller Sehnsucht nach Dir.
    Noch einmal schlafen.

endlich! Endlich ist es vorbei. Das Theatermachen liegt nun hinter mir. Nicht nur Mainz. Überhaupt. Grundsätzlich. Mit dem Inszenieren ist jetzt Schluss.
    Es war ein schöner Abschluss. Weil ich gemerkt habe, dass es geht. Auch ohne Aufregung. Ohne Alkohol. Ohne Extreme. Ohne dass ich mich verschenken muss.
    Und dass ich es doch kann. Daran habe ich selbst gar nicht mehr geglaubt.
    Der Abend ist zwar kein rauschender Erfolg gewesen, aber das musste er auch nicht sein. Nicht mehr. Es war eher so, wie wenn ein Rennfahrer nach einem schweren Unfall das erste Mal wieder in den Rennwagen steigt. Ein paar Runden drehen. Mir hat gereicht, dass ich dabei nicht aus der Kurve geflogen bin. Dass ich heil ins Ziel gekommen bin. Nur das zählt. Rennen möchte ich nicht mehr fahren.
    Auch nicht mehr fliegen. Mit beiden Beinen auf der Erde stehen, das tut gut.
    Vieles von dem, was ich Dir geschrieben habe, ist schon sehr weit weg. Dafür stehen neue Herausforderungen an. Ich muss mich irgendwie finanzieren. Brauche einen Job. Und eine Aufgabe. Das fällt ja selten zusammen.
    Und ich darf mich endlich um Dich kümmern. Das relativiert vieles. Denn in allem, was Du tust, liegt eine gewisse Selbstverständlichkeit. Eine Unbekümmertheit. All das tut mir unendlich gut. Ist Balsam für meine Seele.
    Danke dafür.

toll war es mit Dir im Schwimmbad. Ich kann es immer noch nicht fassen, wie groß Du geworden bist. Auch ohne mein Zutun. Natürlich. Machst schon einen Köpfer vom Beckenrand.
    Weißt Du noch? Der Mann mit der Glatze beim Kindergottesdienst neulich? Wir haben ihn und seine Kinder später auf dem Abenteuerspielplatz wiedergetroffen. Er hatte so viel Lebensmittel dabei. Ich habe mich mit ihm unterhalten, und er hat mir erzählt, dass er einen Bioladen bei uns direkt um die Ecke betreibt. Er hat mir einen Job als Aushilfe angeboten. Frühschicht. Das Gemüse einräumen. Den Laden herrichten. Verkaufen. Klingt super, finde ich. Ich brauche etwas zu tun. Etwas, das ich mit den Händen machen kann. Der Kopf braucht mal ’ne Pause. Nächste Woche soll ich Probe arbeiten, und danach komme ich Euch besuchen.
    Bis gleich.

gestern war ich das erste Mal in einer Selbsthilfegruppe.
    Die gibt es für fast alle Erkrankungen. Die Kranken treffen sich regelmäßig zu einer Art Stammtisch, um sich auszutauschen. Eben weil sie ähnliche Probleme haben und alle wissen, wovon man redet. Die bekannteste Selbsthilfegruppe sind die Anonymen Alkoholiker. Die gibt es überall auf der Welt. Bei denen war Hans-Peter früher. Mit Alkohol habe ich vielleicht auch ein Problem, aber da ich jetzt keinen mehr trinke, habe ich mir lieber eine Gruppe gesucht, die besser zu mir passt. Habe ich auch gefunden. Sie trifft sich einmal im Monat. Gar nicht so weit von mir entfernt. Also bin ich da hingegangen. Ganz scheu und demütig. Nicht mehr der arrogante Großkotz, der selbstverliebt auf die anderen Meisenträger herabblickt. Dabei gibt es kein besser oder schlechter. Ich habe trotzdem Angst. Vielleicht, weil ich so über die anderen Patienten im Krankenhaus gelästert habe. Vielleicht auch, weil ich mich nicht damit abfinden kann, zu ihnen zu gehören. Einer von ihnen zu sein. Vielleicht, weil ich denke, ich müsste nun vor allen Anwesenden ein kleines Referat über mich halten. Mich offenbaren. Das traue ich mir gerade nicht zu.
    Vielleicht.
    Es war ganz merkwürdig. Ungefähr fünf Männer waren da. Ein kleiner Raum. Helles Neonlicht von oben. Grauer Linoleumboden. Ein ehemaliger Klassenraum? So fühlt es sich jedenfalls an. Wie Nachhilfeunterricht. Ist es ja auch
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