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Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise
Autoren: Sebastian Schloesser
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handelt es sich um eine Illusion von Freiheit. Einen Wunschtraum.
    Du siehst, die Erkenntnis ist da. Allein die Sehnsucht nach dem Rausch kommt noch manchmal durch. Kein Wunder. Schließlich versage ich mir sämtliche Fluchthelfer aus der Realität. Dazu ist Theater, Literatur oder Kino nur begrenzt in der Lage. Der Kopf bleibt immer angeschaltet. Aber da alles so ruhig ist zurzeit, ist mein Bedürfnis nach Abschalten zum Glück ziemlich begrenzt. Genuss ist eine gute Ablenkung. Ich gehe mit Sonya nicht nur andauernd ins Kino, sondern auch ständig irgendwo essen. Frühstück, Mittagessen, nachmittags ins Omacafé mit Torte und Kännchen Kaffee. Oft sind wir die einzigen Gäste, da wir nicht zu den Stoßzeiten gehen müssen. Das ist der wahre Luxus. Die Arbeitszeiten weitgehend selbst zu bestimmen, so dass man sich unabhängig von der Masse in der Stadt bewegen kann. Ich fühle mich dann einfach spezieller gemeint. Direkter angesprochen. Exklusivität. Wie ein Prinz eben. Auch ohne Meise.
    Sonya genießt das nach den unglücklichen Wochen in Essen sehr, obwohl sie schon betrübt in die Zukunft blickt. Weil unsere Zusammenarbeit hier enden wird. Diese Form von vorweggenommener Wehmut ist mir fremd und unmöglich nachzuempfinden. Der Vergangenheit hinterhertrauern, noch bevor die Gegenwart abgeschlossen ist.
    Ich freue mich auf mein neues Leben, auch wenn ich noch nicht weiß, wie es konkret aussehen soll. Aber darauf kommt es auch gar nicht an. Viel wichtiger ist, den Schritt zu machen. Den Schnitt. Den Schlussstrich zu ziehen. Denn jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, hat Hermann Hesse in einem Gedicht geschrieben. Diese Zeilen tauchen oft in Todesanzeigen auf, vielleicht, weil der Gedanke, dass es weitergeht, tröstlich für die Hinterbliebenen ist. Für mich ist es aber vor allem ein Weckruf zu Lebzeiten. Sich aufzuraffen. Sich zu trauen, alte Wege zu verlassen und neu zu beginnen. Angeblich war Hesse auch bipolar. Das lässt mich ein bisschen hoffen. Schließlich ist er sehr alt geworden. Er hat eben eine gute Art gefunden, sich der Welt mitzuteilen, und hatte das Glück, auch gehört zu werden. Wenn es nun nicht mehr das Theater ist, muss ich mir eben etwas anderes suchen. Muss auch gar nicht unbedingt etwas Künstlerisches sein.
    Jedenfalls ist mir überhaupt nicht nach Abschied zumute. Ich sitze gerade im Proviant-Magazin. Ein schönes und behutsam renoviertes Gebäude. Das Café ist herrlich leer, und ich bin schon seit dem Mittagessen hier. Sonya besorgt Requisiten und versucht, den lahmen Werkstätten etwas Dampf zu machen. Ich warte. Wie immer. Es ist schon dunkel. Später haben wir unsere erste Abendprobe. Es lohnt sich nicht, für ein paar Stunden zurück in mein Wohnheim zu gehen. Dann lieber Edelobdachlosigkeit. Ich fürchte, am Ende werden wir unsere gesamte Gage verfressen haben. Dann ist das eben so.
    »Fräulein? Ich nehme noch einen Tee und ein Stück Käsekuchen, bitte.«
    Guten Appetit!

die Tage plätschern nur so dahin. Kalt und winterlich ist es, und mir wird ganz festlich zumute. Die Katholiken begehen das Weihnachtsfest doch etwas hingebungsvoller als wir Protestanten. Feiertagsprofis. Vor dem Dom ist eine Krippe aufgebaut, mit lebensgroßen Figuren. Ganz toll. Würde Dir gefallen.
    Die Premiere ist ausverkauft. Das freut mich für die Schauspieler, aber für mich ist es bedeutungslos. Viele Vorstellungen wird der Abend nicht erleben. Da mache ich mir keine Illusionen. Kourosh will vorbeikommen. Ich bin mir jetzt schon sicher, dass es ihm nicht gefallen wird. Ich war zu nachgiebig mit den beiden. Das wird ihn stören. Stimmt auch. Aber dafür hatte ich eine erholsame Zeit.
    Komische Auffassung von Arbeit hast du, Papa.
    Ja. Da hast du recht. Das ist eigentlich unmöglich.
    Soll man nicht immer sein Bestes geben?
    Selbstverständlich.
    Und warum bist du dann mit weniger zufrieden?
    Vielleicht, weil nicht mehr ging.
    Du hättest dich mehr anstrengen können.
    Bestimmt. Aber wem hätte das genutzt?
    Den Schauspielern. Dem Stück. Dem Publikum.
    Ja, aber nicht mir.
    Wenn dir dein Wohlbefinden wichtiger ist als deine Arbeit, dann darfst du dich aber auch nicht über das Kopfschütteln der anderen wundern.
    Stimmt. Tue ich auch nicht. Nicht mehr. Ich will nur noch nach Hause.
    Zu uns?
    Ja.
    Zu mir?
    Ja. Ja!
    Solche Fragen wirst Du mir irgendwann stellen.
    Sie werden mich umhauen.

es ist genau so gekommen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Der Abend wurde freundlich, aber nicht überschwänglich
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