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Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise
Autoren: Sebastian Schloesser
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wurde es komisch. Die Möbel stehen alle an ihrem bekannten Platz. Sie sehen nach so langer Zeit aber ganz anders aus. Sind anders aufgeladen. Alles, was bis vor kurzem noch so selbstverständlich zu mir gehörte, ist nun nicht mehr meins. So ist es Ada mit meiner Zuneigung gegangen. Die habe ich ihr genommen. Und sie mir ihre auch. Oder wir haben sie gewandelt. Abgemildert. Sie ist nicht mehr bedingungslos, sondern ganz im Gegenteil an strenge Auflagen geknüpft, um sich vor weiteren tieferen Verletzungen zu schützen. Abstand halten. Das fällt unheimlich schwer, weil wir uns doch so vertraut sind. Oder sollte ich eher sagen: waren? Soll das nun alles nicht mehr gelten?
    Das kann ich nur mich selbst fragen. Ada gegenüber bin ich so vorsichtig wie möglich. Die Demütigungen, die ich ihr zugefügt habe, lassen sich nicht so einfach mit der Meise entschuldigen. Die Verletzungen sind tief und nachhaltig. Es geht also weniger um Verzeihen als um den Vertrauensverlust. Vertrauen muss man sich erarbeiten. Muss ich mir erarbeiten. Ich will es versuchen, aber ich darf sie nicht schon wieder überfordern. Mit einem Anfall von Reue.
    Deshalb, und weil ich nicht mit so einer Demütigung aus dem Theater ausscheiden möchte, habe ich mich entschlossen, die Inszenierung in Mainz doch zu Ende zu bringen. Außerdem hat mich Thierry, völlig unbeeindruckt von den Ereignissen, in die Pflicht genommen. Weniger eine Frage der Ehre für mich als die Freude darüber, dass mir jemand sagt, was zu tun ist. Wir hatten die Proben vor mehr als einem Jahr abbrechen müssen, weil er sich am Bein verletzt hatte und operiert werden musste. Danach war der Spielplan schon so voll, dass das Stück verschoben werden musste. In diesen Winter.
    Halb & Halb . Der Titel ist Programm. Einerseits freue ich mich darauf, vor allem auf Thierry. Andererseits bin ich mir nicht sicher, ob ich unser Treffen damals im Rückblick nicht verkläre. Ein Als-ob-Glücksmoment, den ich immer dann so empfunden habe, wenn es mal funktioniert hat im Theater.
    Ich versuche, mir das selbst auszureden, aber es ist nicht leicht, und der Gedanke kommt immer wieder zurück.
    Ich traue mich nur deshalb nach Mainz, weil ich für das Stück mit bloß zwei Schauspielern arbeiten muss. Weil ein Grundvertrauen zu den beiden da ist und weil ich von ihnen weiß, dass sie keine Angst haben zu scheitern. Sie wollen eine gute Zeit haben. Schöne Proben. Sich ausprobieren. Wohldosiert. Außerdem interessiert das Stück in Mainz eh niemanden. Der Intendant ist auf dem Sprung nach Basel und kommt von der Oper. Viel Theater wird am Haus nicht mehr gespielt, oft fallen Vorstellungen einfach aus. Zu den Premieren kommen kaum noch Journalisten, und wenn, sind sie wenig angetan von dem, was sie zu sehen bekommen. Das hätte mich vor einiger Zeit noch zur Weißglut getrieben, und ich hätte das jedermann ungefragt entgegengehalten. Jetzt kann ich darüber lachen und bin erleichtert. Fühle mich durch diese widrigen Umstände unbeobachtet und geschützt. Schüchtern und zaghaft mache ich mich also auf die vorerst letzte Reise.

nun sind wir schon ein paar Tage in Mainz. Diesmal wohnen wir nicht im feinen Villenviertel zur Untermiete. Alles war ausgebucht, außerdem wollten wir nicht wieder so viel Geld ausgeben. Schließlich kommt ja erst mal keines mehr rein. Haushalten. Das ist ja normalerweise nicht so meins, aber gerade finde ich das sehr passend. Unsere Unterbringung erinnert mich an das Wolkenkuckucksheim. Sie ist eine Art Wohnheim direkt hinter dem Hauptbahnhof, unter evangelischer Leitung, oder doch katholisch? So ganz habe ich noch nicht durchschaut, unter wessen Verantwortung das Haus geführt wird. Das ist schon deshalb schwierig, weil nie jemand zugegen ist. Keine Rezeption. Kein Pförtner. Langer Linoleumflur. Neonlicht mit Zeitschalter, der sehr kurz eingestellt ist. Ich schaffe es nur im Sprint zur Zimmertür, bevor das Licht wieder erlischt.
    Wir sind die einzigen Gäste. Ein wenig unheimlich ist das schon. Gefrühstückt haben wir hier nur einmal. Ging auch nicht ein zweites Mal. Man muss schon sehr mit geistigen Dingen beschäftigt sein, um diese Kargheit hier wertzuschätzen. Aber im Gegensatz zu der Zeit in der Klinik in Hamburg komme ich in dieser Freiwilligenanstalt ganz gut bei mir an.
    Ich mag nicht mehr weglaufen. Ich bin ganz ruhig. Ich sehe kaum fern, obwohl ich genügend Zeit dazu hätte, denn wir haben uns darauf verständigt, nur einmal am Tag zu proben. Vormittags. In
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