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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger
Autoren: Dieter Moor
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unbeschadet überstanden hatten, ein Lächeln zustande bekommen, bevor sie zielstrebig, am Reiterdenkmal vorbei, zum Rand der Pfuhle strebten, wo sie in der Wiese sitzend, ihre Beute auspacken und ein Picknick im Grünen veranstalten würden.
    Auf der Terrasse zurückgeblieben, würden die drei Amerikaner ihre Flaschen leeren, sich hernach anblicken und fragen «Na?», worauf alle drei einander zunicken würden, und Teddy würde die Blümchenglastür halb öffnen und hineinrufen: «Noch drei, Frau Widdel!» Die als «Frau Widdel» angerufene Ladenfrau würde mit drei Flaschen Bier erscheinen und bei jedem der Männer eine volle gegen eine leere Pulle eintauschen. Und bevor ihr blond-blonder Schopf wieder im Dunkel hinter der Eingangstür verschwände, würde sie sich umdrehen und mehr pro forma als fragend sagen: «Anschreiben?» Worauf der Große mit dem runden Gesicht, Teddy, erwidern würde: «Wat denn sonst?», und der mit dem weißen Flaum auf dem Kopf würde fragen: «Was sagt man denn dazu?» Frau Widdel aber würde dazu nichts sagen und Krüpki nur angucken, woraufhin dieser verstummen würde. Dann würde sie in die Weiten des Brandenburger Himmels schauen und nach oben fragen «Wer?», worauf Müsebeck sagen würde: «Uff Krüpki», und Teddy sagen würde: «Uff Müsebeck», und Krüpki sagen würde: «Uff Teddy», worauf Frau Widdel nicht lachen würde, sondern nur abwinken und zusammenfassen: «Zweie uff jeden.» Und bevor sie die Tür von innen zumachen würde, streckte sie noch einmal ihre blonde Haarpracht durch den Spalt und sagt: «Hier ist Feierabend, Jungs. Dass ihr mir dann die leeren Flaschen ordentlich aufs Fensterbrett stellt.» Und grußlos verschwände Frau Widdels Kopf endgültig, und die drei könnten deutlich hören, wie sie energisch von innen das Türschloss verriegelte.
    Vielleicht würden die drei Männer noch eine Weile auf Frau Widdels Terrasse stehen und leicht von oben herab einfach nur so hineinblicken in dieses Amerika, vielleicht würden sie aber auch fachsimpeln über Krüpkis Pferde oder über die Schafe der Frau im kranke-Hunde-Kack-farbenen Haus, die Teddy ihr zu versorgen half, vielleicht würden sie auch darüber reden, dass es bei den sinkenden Getreide- und den steigenden Bodenpreisen für Müsebeck nicht leichter werden wird, seinen landwirtschaftlichen Familienbetrieb in den schwarzen Zahlen zu halten. Vielleicht wären die drei aber auch noch auf ein Schwätzchen an die Pfuhle gegangen und hätten die Besucher mal näher in Augenschein genommen, wären womöglich sogar mit ihnen ins Gespräch gekommen und die Besucher wären spät nachts erst nach Berlin zurückgefahren und hätten einander gesagt: «Gar nicht so schlimm, in Brandenburg …»
    Wer kann schon sagen, wie es wirklich gewesen wäre? Möglich ist vieles in Amerika …

[zur Inhaltsübersicht]
    Erscheinung
    Wenn man mit dem Auto – von Schmachthagen her kommend – die Bundestraße Richtung Amerika verlassen, rumpelnd die stillgelegten Bahngleise überwunden und die kleinen Datschen links und rechts der Landstraße hinter sich gelassen hat, taucht man in einen Wald ein. Er bildet die Trennlinie, die Pufferzone zwischen zwei Welten: der Welt draußen, Hektik, Verkehr, Termine, Job, Sitzungen, Studios, Briefings, Hotels, Flugzeuge, Bahnfahrten. Und der Welt drinnen: Amerika. Etwas langsamer, etwas weniger oberflächlich, etwas intimer. Etwas relevanter.
    Ich liebe diese Schlussetappe jeder Heimfahrt. Liebe den Moment des Auftauchens aus diesem Wald, wenn sich nach der letzten sanften Kurve unter Bäumen das Windschutzscheiben-Panorama öffnet, eine schnurgerade, von weiten Wiesen und Feldern gesäumte Straße präsentiert und wenn in der Ferne, fast am Horizont, die ersten Häuschen Amerikas sichtbar werden.
    Tausendmal erlebt, tausendmal geliebt.
    An diesem Tag herrschte Postkartenwetter. Majestätisch zogen weiße Wattegebirge über den tiefblauen Himmel, die mit Wildblumen gesprenkelten Wiesen präsentierten sich in sattem Grün, ein lauer Wind raschelte in den Blättern der Bäume. Es war einer dieser Frühsommertage, wie wir sie in Kinderbilderbüchern über das «Leben auf dem Lande» immer wieder illustriert sehen.
    Als ich den Wald hinter mir gelassen hatte, nahm ich den Fuß vom Gaspedal und lies den Jeep im Leerlauf ausrollen. Ich wollte die Freude dieses Nachhausekommens ausdehnen, mein inneres Tempo der Städte drosseln und in den ruhigeren Rhythmus Amerikas wechseln. Ich schaltete noch im
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