Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger
Autoren: Dieter Moor
Vom Netzwerk:
setzte sich und behielt konzentriert die Landstraße im Auge.
    Im Seitenrückspiegel sah ich abermals Verkehr herannahen. Warum schon wieder, verdammt? Diese Straße lag doch oft stundenlang einsam da, ohne dass auch nur ein einziges Fahrzeug aufgetaucht wäre, und ausgerechnet jetzt … Das darf doch wohl nicht wahr sein, schon wieder der Petrolgrüne! Jetzt kam er in umgekehrter Richtung, von hinten, auf uns zu und würde meine Füchse abermals vertreiben. Im Rückspiegel beobachtete ich ihn. Er wurde langsamer. Warum? Wollte der was von mir? Ich hatte keinen Bedarf für jedwede menschliche Ansprache, der sollte einfach vorbeifahren und mich in Ruhe mein Fuchs-Schauspiel genießen lassen. Ich unterdrückte den Impuls, einfach seitlich abzutauchen und unter dem Armaturenbrett in Deckung zu gehen. Der Petrolgrüne war leider bereits so nah, dass er die Bewegung gesehen hätte und dann erst recht neugierig geworden wäre. «Zieh dich doch einfach in dich selber zurück!», riet mein kleiner Schweizer. Gute Idee!
    In meiner Heimat ist dieses Sich-in-sich-selbst-Zurückziehen eine weit verbreitete Kontakt-Anbahnungsversuchs-Abwehrmaßnahme. Zu beobachten in allen öffentlichen Verkehrsmitteln, sämtlichen Warteschlangen und in Restaurants bei allen Allein-Essern, die zu verhindern trachten, dass sich, Gott verhüte, «jemand Fremdes» dazusetzt an den alleine okkupierten Vierertisch: Der sich in sich selbst Zurückziehende schließt die Augenlider um 20  Prozent und starrt stumpfsinnig vor sich hin. Vorzugsweise fixiert er die eigenen Knie (in der Straßenbahn), den Tellerrand (im Restaurant) oder den Hintern des Vordermanns (in der Warteschlange). Die Stirn muss den Eindruck vermitteln, es handele sich bei ihr um das sprichwörtliche Brett vor dem Kopf. Jedwedes Runzeln ist zu unterdrücken, um nicht den Anschein zu erwecken, dahinter kreisten Gedanken, nach denen sich lästige Mitmenschen womöglich erkundigen könnten. Ebenfalls peinlichst zu vermeiden ist jede Betätigung jener Muskulatur, die Lachfältchen zu erzeugen imstande ist. Merke: Lachfältchen wirken einladend. Die Mundwinkel haben nach unten zu weisen, die sogenannte 20 -Uhr- 20 -Stellung zu bilden, und die Lippen sind gegeneinanderzupressen: Das wirkt umwerfend verbissen und abweisend, und die Gefahr, angesprochen zu werden, reduziert sich auf gegen null. Der Kopf als Ganzes hat eine leicht nach vorn geneigte Position einzunehmen, in einem Winkel zur Vertikalen von etwa 25  Grad. So bietet er in Kombination mit dem Gesichtsausdruck ein resignatives, depressives und latent aggressives Gesamtbild. Diese Abschreckungswaffe sind wir Schweizer durch lebenslanges Training in der Lage, innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde in Stellung zu bringen.
    Ich war in vollendetem Kontakt-Abwehrmodus, als der Petrolgrüne heranrollte. Stur fixierte ich den Tiefpunkt meines Lenkrades, während das fremde Auto, nun penetrant langsam, an mir vorbeischlich.
    Meine Abwehrhaltung funktionierte einwandfrei: Der andere beschleunigte, schrumpfte perspektivisch und verschwand im Dorf! «Nicht schlecht, du kannst es noch», sagte der kleine Schweizer zufrieden. «Gelernt ist eben gelernt!»
    Geduldig wartete ich auf das erneute Auftauchen der Fuchsfamilie. Lange spannten sie mich nicht auf die Folter, und bald begann die Balgerei, Toberei und Spielerei von Neuem. Fast eine halbe Stunde lang ließen mich die Tiere als stummen Beobachter an ihrem Familienleben teilhaben, als … der Petrolgrüne schon wieder aus dem Dorf heraus auf uns zuraste. Ein Verrückter! Warum fährt der völlig sinnentleert diese Straße rauf und runter, dachte ich, aber gut, ich hab gesehen, was zu sehen war, ich kann mich genauso gut jetzt schon auf den kurzen restlichen Nachhauseweg machen. Ich warf einen letzten Blick auf die Füchsin, die den Petrolgrünen natürlich längst auch registriert hatte und sein Näherkommen scharf beobachtete, bereit, sich augenblicklich unsichtbar zu machen, in Deckung zu gehen.
    Diesmal machte der Fahrer des Petrolgrünen keine halben Sachen. Er hielt das hohe Tempo bis fast auf meine Höhe, dann bremste er scharf ab und kam, Fahrerseite an Fahrerseite, neben mir zum Stehen. Die Scheibe wurde heruntergefahren.
    «Maulaffen feilhalten, wa?», tönte es über die weiten Wiesen. Krüpkis Gesicht erschien hinter der spiegelnden, sich absenkenden Glasscheibe. Seine Gesichtsfarbe leuchtete in gefährlichem Dunkelrot, der weiße Flaum seines Haupthaars umspielte den oberen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher