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Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn

Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn

Titel: Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn
Autoren: Sergio Bambaren
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ich mich in den darauffolgenden Jahren gefühlt habe. Erst verlor ich meinen Glauben an Gott. Wie konnte Er einen so wertvollen Menschen in so jungen Jahren zu sich holen, anstatt der schlechten Menschen, die Er mit einem langen Leben gesegnet hatte? Ich konnte nicht länger an einen so ungerechten Gott glauben.
    Dann fiel ich in eine tiefe Depression, aus der ich jahrelang nicht mehr herauskam. Darüber hinaus trank ich immer mehr, um meinen Schmerz zu betäuben. Das war ein riesiger Fehler, Daniel. Die Werte, auf denen ich versucht hatte ein anständiges Leben aufzubauen, begannen zu verfallen. Es war, als wäre ich in den tiefsten Abgrund der Hölle gestürzt. Ich hatte alle Lebensfreude verloren. Warum sollte ich weiterleben?
    Doch wenn ich heute an diese schlimme Zeit zurückdenke, in der ich mir schließlich meine Krankheit eingestehen und Hilfe suchen musste, sehe ich ganz deutlich, was mich am Leben gehalten hat: die Hoffnung. Die Hoffnung, dass sich irgendwann alles wieder zum Besseren wenden würde. Obwohl mein Leben die Hölle war und ich das Licht am Ende des Tunnels noch nicht sehen konnte, wusste ich, dass ich um mein Überleben kämpfen musste. Und wie gesagt: Der einzige Kampf, den man verliert, ist der, den man nicht antritt. Und der einzige Traum, den man nicht wahr werden lassen kann, ist der, den man aufhört zu träumen.
    Als ich wieder einigermaßen objektiv auf diese traurigen Jahre zurückblicken konnte, erkannte ich, dass mir ein fataler Fehler unterlaufen war: Indem ich Gott die Schuld am Tod meiner Mutter gegeben hatte, hatte ich mich selbst zu einem Leben ohne Glauben verdammt. Ich
    hatte versucht, Gott zu spielen, indem ich ihn verurteilte.
    Wie arrogant von mir! Für wen hielt ich mich? Doch als der Sturm vorüber war, lernte ich etwas sehr Wichtiges: Demut. Demut macht stark, nicht schwach, Daniel.
    Ich brauchte eine Weile, um meine Krankheit anzunehmen, aber am Ende stellte ich mich ihr und rief um Hilfe. Da tauchten am fernen Horizont die ersten Sonnenstrahlen auf. Menschen mit demselben Problem sagten mir, dass ich nicht für meine Krankheit verantwortlich sei, wohl aber für meine Genesung. Ich betete und bat um Demut, bat um Vergebung. Denn wenn Du wirklich demütig bist und um Hilfe bittest, wenn Du eine ausgestreckte Hand nimmst, von der Du spürst, dass sie stark ist und Dich halten kann, ohne Dich fallen zu lassen, dann spürst Du auch, dass die beste Zeit erst noch vor Dir liegt. Trotz des Todes eines geliebten Menschen, trotz Drogen- oder Alkoholmissbrauchs, trotz eines sinnlosen Jobs, trotz einer Krankheit oder eines anderen quälenden, verheerenden Leids – trotz allem weißt Du, dass der Schmerz irgendwann nachlassen muss, weil er einfach nicht noch stärker werden kann, da Du bereits ganz unten angekommen bist. Dann und nur dann erkennst Du, dass Du eine zweite Chance erhältst, Dein Leben wieder neu aufzubauen, wenn Du es in die Hand nimmst und Dir helfen lässt. Dann verziehen sich die dunklen Wolken, und eine neue Sonne überstrahlt Deine Zukunft. Deine Seele wird neugeboren – wenn Du die Dinge so nimmst, wie sie sind.
    Ich erinnere mich noch gut an die Frage, die ich mir wieder und wieder in meinem Kopf stellte, als ich vor vielen Jahren so deprimiert und so einsam war: Was ist passiert? Warum ist es gerade mir passiert?
    Als ich dann wieder die Sonne sah und sie die Kälte meiner Tage vertrieb, kam mir ein anderer Gedanke: Warum sollte es mir nicht passieren? Stehe ich etwa über den Gesetzen der Natur? Bin ich so eingebildet zu glauben, im Gegensatz zu allen anderen Menschen sollte ausgerechnet ich von Schmerz, Leid und Sorgen verschont bleiben?
    Ich begriff, dass Schmerz zum Leben gehört, dass Verzweiflung dazugehört und dass es eben auch dazugehören kann, am Boden zerstört zu sein. Doch das ist keinesfalls das Ende des Lebens – es ist der Beginn von etwas Größerem und sehr viel Wertvollerem.
    So wie das Alter nur eine List der Zeit ist, ist der Schmerz ein Aspekt des Lebens. Man kann Glück und inneren Frieden finden, so verloren und allein man sich auch fühlen mag. Die Zeit heilt alle Wunden, Daniel, aber Du musst Geduld haben. Es geschieht nicht in einem kurzen Augenblick oder an einem einzigen Tag, sondern wenn Du am wenigsten damit rechnest. Und dann wird etwas ganz Außergewöhnliches passieren: Du hörst auf, gegen Dein Schicksal anzukämpfen und die Dinge erzwingen zu wollen. Du akzeptierst Dein Leben, wie es ist, und vertraust darauf, dass
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