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Liebe und Gymnastik - Roman

Liebe und Gymnastik - Roman

Titel: Liebe und Gymnastik - Roman
Autoren: Edmondo de Amicis
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Eigenliebe verletzt. Einen Augenblick lang war Don Celzani abgelenkt durch eine laute Stimme, die feierlich rief: «Die Abgeordneten aus Mailand haben überhaupt kein verpflichtendes Mandat.» Dann wieder schreckte ihn der Beifallssturm zu Ehren einer Lehrerin auf, die mit Sopranstimme erklärt hatte, wenn man handwerkliches Arbeiten in der Schule unterrichten solle, sei eine entsprechende Gehaltserhöhung nur gerecht. Dann folgte wieder ein Durcheinander. Schließlich sorgte ein kleiner, fetter Lehrer mit wenigen klaren und sehr vernünftigen Worten dafür, dass Ruhe einkehrte, und der Präsident konnte diesen Tagesordnungspunkt zur Abstimmung per Handzeichen freigeben. Zweihundert Arme fuhren in die Höhe, darunter viele bis zum Ellbogen geknöpfte Damenhandschuhe. Beifall folgte auf die Abstimmung, und man ging zu einem anderen Thema über, nämlich «Veränderungsvorschläge für den Gymnastikunterricht».
    Die Ankündigung des Themas ließ Don Celzani heftig auffahren, weil er dachte, die Pedani würde gleich sprechen. Als er den Blick in ihre Richtung wandern ließ, sah er auf der gegenüberliegenden Tribüne, genau über dem Kopf der Maestra, das heitere Gesicht von Ingenieur Ginoni auftauchen.
    Aber seine Erwartung wurde enttäuscht. Andere sprachen zuerst, Lehrer und Lehrerinnen. Zunächst kreiste die Debatte recht ziellos um die technische Seite der Sache. In diesem Zusammenhang wurde ein technologisches Vokabular zur Schau gestellt, von dem ein Laie nichts verstand; und der Gegensatz zwischen den beiden Schulen wurde erkennbar, die Namen Baumann und Obermann fielen mitten in einem großen Tumult, der einen Moment lang übertönt wurde von einer tiefen Stimme, die rief: «Turin war die Wiege der Gymnastik, und es wird ihr Grab werden!» Ein Maestro wies darauf hin, dass man die Sprache, in der gymnastische Anleitungen und Regeln erteilt wurden, reformieren müsse, da sie nicht italienisch genug sei, und er schlug vor, gewisse Fragen der «Accademia della Crusca» vorzulegen. Don Celzani meinte, Maestro Fassi würde zu sprechen beginnen. Und in der Tat fuchtelte er herum, stimmte lauthals zu und lehnte ab, schrie: «Nein!», «Niemals!», «Das ist ein starkes Stück!», «Ein bisschen gesunder Menschenverstand, bitte schön!», ergriff aber nie das Wort. Ein Gymnastiklehrer wies nach, dass es notwendig sei, die Bedingungen der Kollegen zu verbessern: Sie wurden zwar von der Regierung bezahlt, teilten aber nicht die Rechte der anderen Beamten; sie waren nicht fest angestellt, mithin der Willkür von Gymnasial- und Lyzeumsdirektoren ausgeliefert, die die Kurse zu spät anfangen ließen, die Turnlehrer nicht, wie es rechtens gewesen wäre, zu den Kommissionen für die Befreiung vom Turnunterricht zuließen, weshalb diese fast immer willkürlich erteilt wurde, und sie nicht in ihrem Fach unterstützten. Da flammte die Diskussion erneut auf und erhitzte sich zu einem Methodenstreit, wobei man Idiome aus ganz Italien vernehmen konnte. Fast befürchtete der Sekretär schon, die Pedani würde nicht mehr sprechen, und mit großer Bitterkeit machte er sich darauf gefasst, auf diese letzte Wonne verzichten zu müssen: ihre Stimme zu hören, sein Idol beklatscht und angehimmelt zu sehen, seine Verzweiflung von diesem Abglanz ihres Ruhmes gleichsam vergoldet davonzutragen. Bei jedem neuen Redner wartete er nur darauf, dass er fertig wurde, ihm schien, er verlängere seine Qual vorsätzlich, und ungeduldig zählte er jedes seiner Worte. Endlich, nach der kurzen Rede eines Lehrers aus der Toskana, der Beifall erntete, als er zu unserer Schande das kleine Belgien anführte, wo dem Autor eines guten Buches über Gymnastik eine Prämie von 25 000 Lire geboten wurde, sagte der Vorsitzende mit lauter Stimme: «Das Wort hat nun Signora Maria Pedani.»
    Don Celzani fuhr hoch, als hätte eine Flamme ihn erfasst.
    Zuerst ging ein leises Raunen durch den Saal, dann trat tiefe Stille ein, was bedeutete, dass die Maestra allgemein bekannt war und dass ihre Rede erwartet wurde: Alle Gesichter wandten sich ihr zu.
    Als man sie so stehen sah, aufrecht, den Oberkörper ganz über die Bankreihe erhoben, groß und kräftig, das schöne ovale Gesicht blass, aber entschlossen, war wieder Gemurmel zu vernehmen, wie ein wohlwollender Kommentar zur Person, das aber sogleich verstummte. Einen weiteren Ausdruck des Staunens lösten die ersten Töne ihrer schönen Stimme aus, beinah männlich, aber harmonisch, und vollendet zu dem kräftigen und
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