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Liebe und Gymnastik - Roman

Liebe und Gymnastik - Roman

Titel: Liebe und Gymnastik - Roman
Autoren: Edmondo de Amicis
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bartloser Jüngling mit Nelke im Knopfloch. Den Vorsitz führte ein korpulenter geistlicher Lehrer, ein Neapolitaner. Man sah auf den ersten Blick, dass dies kein Regionalkongress war, sondern dass hier Lehrer aus sämtlichen Provinzen Italiens zusammengekommen waren, unter denen freilich das schwarze Haar und die dunkle Hautfarbe der südlichen Regionen überwogen. Auf den oberen Rängen saß eine große Zahl von unterschiedlich gekleideten Fräulein: Lehrerinnen mit Diplom, aber ohne Anstellung, die als Zuschauerinnen gekommen waren, aus Neugier, viele mit Papier und Stift vor sich, um sich Notizen zu machen, zwischen ihnen kleine Jungen und Mädchen, ihre jüngeren Geschwister. Zwei groß gewachsene Saalwächter in gelbem Wams und weißen Strümpfen gingen im Raum umher. Auf den Tribünen drängten sich weitere Lehrer sowie Angehörige der Kongressteilnehmer; und in den ersten Reihen sah man einige der berühmtesten gymnastischen Autoritäten Turins, Professoren, Ärzte, Vertreter der Zeitungen. Noch nie war der Saal so voll besetzt gewesen und noch nie von so lebhafter Bewegung erfüllt.
    Als Don Celzani die ehemals für das Publikum vorgesehene Tribüne betrat, war die Sitzung schon seit etwa einer Stunde eröffnet. Kaum saß er, suchte er nach der Pedani. Er fand sie nicht gleich. Dagegen sah er die Zibelli auf einem der unteren Ränge, gegenüber vom Präsidentenstuhl, zwischen zwei anderen Lehrerinnen, die er nicht kannte, und als er den Blick über die hinteren Bankreihen nach oben schweifen ließ, stieß er auf das Feldwebelprofil von Maestro Fassi, der einen großen Trupp Turiner Gymnastiklehrer um sich versammelt hatte, fast alles Gesichter von ehemaligen Militärs, unter denen er den Blondschopf des Maestro aus dem «Generala» wiedererkannte. Aber wo war sie? Nachdem er noch ein Weilchen auf gut Glück gesucht hatte, entdeckte er sie endlich, was ihn elektrisierte; sie saß auf einem der obersten Ränge rechts, wo einst ein Massari gesessen hatte, ein Boggio, ein Lanza, die treueste Garde des großen Ministers. 38 Sie saß auf einem Platz in der Nähe des großen Fensters, inmitten der lebhaften Schar Lehrerinnen, die sie zu Hause abgeholt hatten und sie umringten wie eine Ehrengarde. Das Sonnenlicht, das durch das große Fenster hereinfiel, beleuchtete die ganze rechte Seite ihres schönen, von dem schwarzen Kleid eng umschlossenen Körpers. Sie hatte Papiere vor sich, sprach mit den Nachbarinnen, schien etwas nervös. Der Sekretär legte die beiden Fäuste übereinander auf die Brüstung, stützte das Kinn auf die Fäuste und verharrte reglos, sah sie an, von einer letzten Hoffnung beseelt: dass sie ihre Augen einmal hier heraufwandern lassen und seinem Blick begegnen möge. Das wäre das letzte Lebewohl. Dann wäre alles aus. Nichts sonst war ihm wichtig. Wie er schon beim Eintreten diesen historischen Saal, den er noch nie gesehen hatte, keines Blickes gewürdigt hatte, so hörte er auch jetzt nicht ein Wort von den Reden, die hier gehalten werden.
    Die Diskussion drehte sich um das Thema, das auch an den Tagen zuvor behandelt worden war: ob es nämlich sinnvoll sei, in der Schule handwerkliche Fächer zu unterrichten. Zuerst hatte mit großer Sanftmut eine kleine Lehrerin aus dem Veneto gesprochen und vorgeführt, mit welcher Methode sie den Kindern beigebracht hatte, aus Papierbändern Körbe zu flechten. Ein Arbeitsmuster ging in den Reihen von Hand zu Hand, und die Lehrerinnen versuchten, die Arbeitstechnik nachzuvollziehen. Dann hatte in klagendem und singendem Tonfall ein Lehrer aus Kalabrien gesprochen und einen großen Korb mit Arbeiten herumgezeigt, die in seiner Schule angefertigt worden waren, darunter auch ein Paar Schuhe. Nach ihm hatten einige Redner gesprochen, die gegenteiliger Meinung waren, und die Diskussion war hitzig und erbittert geworden. Eine attraktive Lehrerin, die als Schriftführerin fungierte, musste das Protokoll der letzten Sitzung auszugsweise noch einmal verlesen. In den Reihen ganz links außen saß eine Gruppe junger Lehrer aus der Lombardei, vorlaut und kampflustig, die der Vorsitzende mit all seiner priesterlichen Langmut nicht zur Ruhe bringen konnte. Auf der entgegengesetzten Seite des Saals lieferten sich zwei Lehrer ein heftiges Wortgefecht. Insgesamt wurde ein Großteil der Zeit von Fragen der parlamentarischen Geschäftsordnung verschlungen, die Redner erlagen der politischen Aura des Saals, sprachen mit zu viel Pathos und fühlten sich zu schnell in ihrer
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