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Liebe und Gymnastik - Roman

Liebe und Gymnastik - Roman

Titel: Liebe und Gymnastik - Roman
Autoren: Edmondo de Amicis
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schlanken Körperbau passend. Sie hob damit an, dass man keine Verbesserungen erzielen werde, weder in der Ausübung der Gymnastik noch in der Lage der Unterrichtenden, wenn sich nicht, wie in anderen Ländern auch, die Stimme der Nation mit Macht bei Regierung, Kommunen und sämtlichen Behörden vernehmen ließe, zutiefst von den Vorzügen dieses Unterrichts überzeugt und fest entschlossen, diese auch durchzusetzen. Oberste Pflicht aller und insbesondere der Lehrer sei also, diese Idee zu propagieren, sie der Vernunft, dem Bewusstsein, dem Herzen des gesamten Volkes mit seinen unterschiedlichen Klassen einzupflanzen. Anfangs sprach sie langsam, runzelte ungeduldig die Stirn, wenn ihr ein Wort nicht einfiel, oder machte eine ärgerliche Handbewegung, wenn sie sich in einem Satz verhedderte, wie um ein Netz zu zerreißen, das sie umfing, und ihren Gedanken um jeden Preis zum Ausdruck zu bringen.
    «Auch mit der Gymnastik», fuhr sie fort, «hat man es in Italien gehalten wie mit vielen anderen Dingen, wie beispielsweise mit der militärischen Erziehung an den Schulen: Anfangs war da große Begeisterung, von der man nach und nach abrückte und in die schändlichste Nachlässigkeit verfiel, bis man zuletzt die Idee selbst und ihre Anhänger verspottete. Aber der Gymnastik erging es noch schlechter. Ein Heer von Feinden hatte sich gegen sie erhoben und wuchs an, die Schulbehörden bekamen deren Macht zu spüren, sodass der Unterricht zu bloßer eitler Zurschaustellung, elendem Betrug, ja offenem Spott zu werden drohte. Unwissenheit, feige Angst vor eingebildeten Gefahren, Trägheit auf nationaler Ebene, die Böswilligkeit gewisser interessierter Kreise, die mit unglaublicher Dreistigkeit so weit gingen, der Gymnastik diejenigen Schwächen und organischen Mängel der Jugend anzulasten, die zu korrigieren eben deren Aufgabe sei – all das wirke zusammen. Und man würde es nicht für möglich halten, hätte man es nicht tagtäglich vor Augen. Feinde der Gymnastik», sagte sie, «sind die gelehrten Professoren, die schon mit vierzig schwach und hinfällig sind wie Achtzigjährige, eben weil sie ihr zerebrales System zum Schaden der Muskulatur zu sehr beansprucht haben. Feinde der Gymnastik sind die Mütter von dürren und blutarmen Töchtern, die dann ihrerseits Mütter eines unglücklichen Nachwuchses werden, weil sie ihre körperlichen Kräfte nie betätigt haben. Feinde der Gymnastik sind die Väter von Jünglingen, die durch einseitige geistige Beanspruchung der Auszehrung verfallen, sich schreckliche zerebrale Krankheiten zuziehen, hypochondrisch werden und mit dem Gedanken an Selbstmord spielen! Die Feinde und Gegner der Gymnastik sind Legion, während zugleich die zunehmende Leichtigkeit der Fortbewegung und die vermehrten Bequemlichkeiten des täglichen Lebens uns tendenziell träge und schlaff machen; während der immer härtere Kampf ums Überleben allen von Tag zu Tag einen vermehrten Einsatz von Kraft und Gesundheit abverlangt; all dies Feinde der Gymnastik, während wir eine erbärmliche Generation sind, kraftlos und verdorben, die die Krankenhäuser und Hospitale mit ihren Missbildungen und Schmerzen bevölkert! Welche Blindheit! Welche Unvernunft! Was für eine Schande!»
    Die letzten Worte wurden mit einem Beifallssturm aufgenommen. Die Pedani fasste Mut und begann einen Vergleich anzustellen zwischen dem schlechten Ruf und der Geringschätzung der Gymnastik in Italien und der Hochachtung, die sie in anderen Nationen genoss. Dabei beging sie den Fehler, sich etwas zu sehr über statistische Daten auszulassen, und hier und da regte sich ansatzweise Widerspruch. Zwei oder drei Gruppen von Lehrern begannen untereinander zu tuscheln, um die Zuhörer abzulenken. Don Celzani hörte, wie Maestro Fassi, der die Rednerin nie ansah, zwei- oder dreimal verächtlich ausrief: «Das gehört nicht zum Thema!», «Das ist doch bekannt!». Einmal rief er laut: «Na, so was!», sodass viele sich umwandten. Doch die Pedani fand rechtzeitig aus der Klemme heraus, als sie in wirklich geglückten Formulierungen auf die jüngsten Festlichkeiten in Frankfurt anspielte, sodass die Zuhörer einen Augenblick lang die große Turnwiese vor sich sahen, wo sich die Blüte der deutschen Jugend drängte, und einen Hauch dieser jugendlichen Begeisterung über ihre Köpfe wehen fühlten. Das Gesicht der Maestra rötete sich, sie erhob die Stimme mit mächtigem Klang, fuhr mit der Hand durch die Luft, ohne maßlos zu werden, mit dem Elan
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