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Liebe und andere Schmerzen

Liebe und andere Schmerzen

Titel: Liebe und andere Schmerzen
Autoren: Hrg. Jannis Plastargias
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die Stadt, aus der wir geflohen waren, um dem Wahnsinn der letzten Stunden zu entgehen. All das würde bald dem kargen Tode frönen und die Erde wäre wieder der leblose Felsklotz, der sie einst gewesen war.
    Wir hatten uns wohl in der Stille der Nacht einvernehmlich in unserem Innersten von der Welt verabschiedet, sodass wir nun noch einmal die Sinnesfreuden des menschlichen Körpers erleben konnten: Das Sehen der bunten Bilder, das Riechen des frischen Morgenduftes, das Hören der zwitschernden Vögel, das Schmecken des mitgebrachten Proviants und zu guter Letzt die Sinnlichkeit des Fühlens bei der Berührung des Geliebten. All dies war der Rahmen für das, was wir Mensch nennen, und doch war es nicht nur jener Input, der uns zum Menschen machte, sondern auch das Denken, was uns in dieser Nacht vom Erleben abhielt. Der Tod würde unweigerlich über die Liebe siegen – und doch hatten wir zu früh angefangen den Tod zu leben.
    Die Zeit lief nun gegen uns, als wir die Magie unserer Körper wieder entdeckten und ganz in dem sexuellen Wohlgefallen aufgingen, welches uns schon in Simons Wohnung von der Gedankenschwere erlöst hatte. Die entflammte Leidenschaft war der letzte Widerstand – ein letztes Aufbäumen der Totgeweihten. Jede Berührung, jedes lustvolle Stöhnen war ein Sieg, der die Zukunft in Vergessenheit geraten ließ; jede Minute, die so ohne den Gedanken an das Unausweichliche verging, war ein Triumph des bewussten Erlebens in einem Moment höchster Glückseligkeit.
    Doch auch dieses Liebesspiel ging vorüber und als die schweißgebadeten nackten Körper nach einem letzten ekstatischen Höhepunkt ineinander verschlungen zur Ruhe kamen, war sie wieder da – die Stille zwischen uns. Wir hatten es bis zum Äußersten miteinander getrieben und uns gezeigt, wie viel wir füreinander empfanden, doch war es nur die Liebe unserer vergehenden Körper gewesen, die wir zur Schau gestellt hatten, nicht aber das Gefühl der Liebe, welches unsere beiden Körper zusammen geführt hatte.
    Die eigentlichen Gefühle waren bereits tot. Die Angst vor dem Tod hatte sie getötet. Zwar verbrachten wir Zeit miteinander, waren uns nahe, doch waren wir gleich den Tieren, die man zur Schlachtbank führt – ebenso nahe beieinander und doch nur an der eigenen Existenz interessiert.
    Die Sonne am Himmel stand nun sehr hoch, es war wohl Mittag. Der Countdown hatte eine einstellige Zahl erreicht und es blieb nichts als das Warten – das Warten auf den Tod.
    Kein Smalltalk, keine Körpersprache – nur das einvernehmliche Arm-in-Arm-Liegen war uns geblieben.
    Es würde also so enden – in Stille.

Levend Seyhan
    LIEBE UND ANDERE SCHMERZEN
    S ie hatte die verzückende Erscheinung eines Fabelwesens. Ihre Augen glichen zwei funkelnd blauen Perlen, die in ihrem zauberhaften Blick so ruhig wirkten. Wie Meeresschätze, die in verschlingenden Tiefen ruhten. Ihr langes glattes, dunkles Haar war eine Anwandlung schönster Träume, es machte sie unantastbar, wie ein kostbares Gemälde, das lediglich zum Betrachten da war, nur für die sehnsüchtigen Augen hoffnungslos Träumender bestimmt.
    Lennart träumte seit acht Jahren von ihr. Sie war ihm das erste Mal in der Stadtbibliothek über den Weg gelaufen. Sie war aus einem Gang zweier Bücherregale hervorgetreten und schlenderte zeitlos die Regale entlang, bis sie etwas entdeckt zu haben glaubte und damit zur Ausgabe entschwand. Ihre Blicke hatten sich nur flüchtig getroffen, sie hatte von seiner Existenz keine merkliche Notiz genommen, Lennart aber war vor den beiden Regalen, zwischen denen sie hervorgetreten war, zum Stillstand gekommen und hatte sich von dieser Stelle nicht mehr fortreißen können. Ihn hatte der Blitz getroffen. Fortan war er jeden Tag unterwegs gewesen, vernachlässigte sein Literaturstudium und kam ihr mit jeder zufälligen Begegnung auf die Schliche, fand bald heraus, wo sie arbeitete, was sie studierte, was ihre täglichen Gewohnheiten waren. Er wollte seinem Glück auf die Sprünge helfen. Doch jedes Mal, wenn er sich vornahm, sie anzusprechen, versagten seine Nerven. Er glaubte, nein, er war überzeugt, der Falsche für sie zu sein. Er war hässlich. So sah er sich jedenfalls selbst. Er war hässlicher als der Inhalt seines Mülleimers, und ihrer somit unwürdig. Er besaß kaum Geld und war bloß Aushilfe in einem Supermarkt. Seine Klamotten waren alt, ihm fehlte das Geld für gute Kleidung und neues Mobiliar. Aber was hätte in sein kleines Apartment überhaupt
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