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Liebe und andere Schmerzen

Liebe und andere Schmerzen

Titel: Liebe und andere Schmerzen
Autoren: Hrg. Jannis Plastargias
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ich tat es ihm gleich.
    Die Nacht brachte Regen. Es war der letzte Regenschauer, den diese Welt erleben sollte und fast schien es, als ob der Himmel weinte, da er sich seines Endes bewusst geworden war.
    Auch unsere Anspannung hatte sich in Form von Tränen gelöst, die der Regen nun von unseren Gesichtern wusch. Einträchtig saßen wir auf der durchnässten Decke und schwiegen. Ein Gefühl von Müdigkeit machte sich breit, doch sollte man in den letzten Stunden seiner Existenz noch einmal ruhen im Angesicht der nahenden ewigen Ruhe? Was wäre das überhaupt für eine Ruhe, die man auf jenem Berg so kurz vor dem Unausweichlichen und mit einem gedankenschweren Kopf finden würde?
    Da saßen wir desillusioniert auf den Tod wartend – der Tod, der das Ende unserer Liebe auf Erden markieren würde und die Ungewissheit, was er bringen würde: ein neues Leben, ein Königreich der Himmel oder doch ein nicht endendes Nichts?
    Die Antwort war so nahe und doch eine Ewigkeit entfernt – einen Augenblick in der Unendlichkeit, den es sinnvoll zu füllen galt.
    Immer noch verharrten wir in Stille und einer müsste den ersten Schritt wagen – doch wer? Die Stille nahm alles ein und ließ schließlich auch meine Gedanken versiegen. Dem nahenden Ende gleich war das visuelle Bewusstsein alles, was mich vom Tod unterschied. Es waren nur noch die Bilder, die das Auge in mein Innerstes projizierte, die den Weltinnenraum vom zusammengebrochenen Stoffwechsel, genannt Tod, unterschieden.
    »Simon, soll es das gewesen sein?«, kam es mir schließlich über die eisigen Lippen.
    Er schwieg und ein weiterer Moment der Stille machte sich breit.
    Das Idyll des Bergs sollte das Panorama unserer letzten Stunden werden und hatte es da unten in der Stadt noch wie das beste Ende für unser Leben gewirkt, war es nun zu einem Martyrium des Wartens inmitten einer eintönigen Bergöde verkommen, in der sich die Zeit streckte und es an einem sinnvollen Zeitvertreib mangelte. War es nicht die Liebe, die uns zusammengebracht hatte, miteinander verband und die Zeit überdauern sollte? Was war die Liebe an diesem Punkt, da wir auf dem Berg saßen und auf unser Ende warteten?
    Die traurige Antwort war wohl, dass sie nichtig geworden war. Sie bedeutete nichts und vermochte es nicht einmal, uns alles andere vergessen zu lassen, wie es noch in Simons Wohnung der Fall gewesen war.
    Über allem lag immer noch diese unerträgliche Stille. Es musste doch irgendetwas geben, um sie zu brechen und so tat ich etwas, dass ich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht getan hatte: Ich raffte mich auf und bewegte die versteiften Glieder. Simon blieb regungslos sitzen und starrte apathisch vor sich hin.
    Ich griff nach dem Rucksack und entdeckte ein Souvenir aus der Vergangenheit, welches Simon unbedingt hatte mitnehmen müssen und doch lag es nun achtlos in der Tasche. Es war der alte Teddybär, dessen Knopfaugen meine Augen zum Funkeln brachten und mir für den Bruchteil einer Sekunde ein Lächeln ins Gesicht zauberten.
    »Schau mal, wen ich hier gefunden habe!«, rief ich Simon zu. Zögerlich erwachte dieser aus seiner Trance und wagte einen Blick auf das, was ich in der Hand hielt.
    »Mein alter Teddy«, kam es ihm ebenso zögerlich über die Lippen. Die Knopfaugen trafen auf Simons Augen und man konnte deutlich sehen, wie der Anblick des Teddys einen Schalter in seinem Kopf umlegte, der eine Flut an Erinnerungen und Bildern freisetzte.
    Es verging so eine Weile, bis Simon schließlich seine Starre aufgab und nach dem Begleiter unzähliger Tage griff. Er drückte ihn fest an sich und wieder rannen Tränen seine Wangen herunter. Über der Szene lag etwas Unwirkliches und so wurde das Geschehen noch durch den letzten Sonnenaufgang ikonisch verklärt.
    Die Morgenröte bahnte sich ihren Weg durch den sich langsam lichtenden Wolkenschleier. Es war das Idyll der Aurora, die einen neuen Tag erschuf, bevor in wenigen Minuten auch wieder der Vernichter, in Gestalt eines großen Lichtpunktes, am Himmelszelt zu sehen sein würde, der nun immer und immer größer würde, bevor er schließlich mit aller Wucht vom Himmel auf die Erde stürzen würde.
    »Sven, komm her«, sagte Simon ruhig.
    Die Stille der Nacht war nun endlich gebrochen und das Leben hatte noch rund 13 Stunden Galgenfrist.
    Ich schmiegte mich an Simon und wir küssten uns innig. Dann schauten wir aneinander gekuschelt auf das Leben unter uns: die Pflanzen an den Berghängen; die Vögel am Himmel und in einiger Distanz
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