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Liebe und andere Schmerzen

Liebe und andere Schmerzen

Titel: Liebe und andere Schmerzen
Autoren: Hrg. Jannis Plastargias
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abfallenden Felswand geplant hatte, war es aus gewesen. Alles hatte sich bei mir gedreht und während alle anderen dem Trainer ohne zu mäkeln gefolgt waren, hatte ich gezaudert und hatte dann gemerkt, dass ich nicht der Einzige gewesen war. Da war er, der Adonis meiner Träume, und hatte ebenso gezögert wie ich.
    Eben an jener Stelle standen wir jetzt und erinnerten uns an den mühseligen Abstieg auf einem anderen Pfad, den wir uns aus den Erinnerungen des Aufstiegs erschlossen hatten und der uns leichter erschien als der Abstieg den unser Trainer gewählt hatte. Er war wohl nicht weniger steil gewesen, aber zusammen hatten wir selbst die schwierigsten Stellen gemeistert. Und dann war es geschehen, eben an einer dieser schwierigen Stellen, dass ich ihm eine Hand zur Hilfe gereicht hatte und sich noch vor dem Handschlag unsere Blicke gekreuzt hatten. Ein Funke war übergesprungen und wir hatten wohl beide dasselbe gespürt, jedenfalls hatten wir uns nach der bestandenen Hürde geküsst und hatten unseren Abstieg weiter fortgesetzt, in dem Wissen, dass eine neue Bindung zwischen uns entstanden war, die weiter gehen sollte als die vorherige Kameradschaft. Schließlich hatten wir den Abstieg sogar vor der anderen Gruppe geschafft.
    »Da steckt ihr also, ihr Angsthasen!«, hatte uns der Trainer schon von Weitem aus zugerufen. »Ihr habt euch einfach so abgemacht und eure Mannschaft im Stich gelassen. Das ist schlecht für den Teamgeist und zur Strafe werdet ihr beim nächsten Training doppelt so viele Aufwärmrunden wie die anderen drehen. Verstanden!?«
    Es war uns egal gewesen, und von nun an, waren wir ein Paar – heimlich natürlich, denn schwule Fußballer, wo gibt es denn so was?
    Und so geschah es, dass wir die Manndeckung und die Abschusstechniken auch außerhalb der Trainingszeiten zu zweit perfektionierten.
    Eine schöne Erinnerung war es und gerade in einem hoffnungslosen Moment wie an diesem Vorabend des Weltuntergangs, eine tröstende Erinnerung aus einer sorgenfreien Zeit, als man die Menschen noch nicht über ihr baldiges Ende in Kenntnis gesetzt hatte. Zwei Monate war es gerade einmal her und doch waren es die erfülltesten Augenblicke meines Daseins auf Erden.
    Wir packten die mitgebrachten Rucksäcke aus. Auf dem Boden breiteten wir eine Decke aus und ließen uns auf ihr nieder. Die Stille wurde unerträglich.
    »Die Uhr tickt gegen uns«, sagte ich schließlich.
    »Ich habe Angst zu … «, das letzte Wort erstarb in Simons Mund. Er brachte es nicht über die Lippen und so antwortete ich: »Ich auch… « Ein weiterer Moment der Stille, »aber ich bin froh, diese letzten Augenblicke mit dir verbringen zu dürfen.«
    Er weinte und auch meine Augenwinkel fingen an, feucht zu werden. Die Welt lag so friedlich vor uns und wenn es in den letzten Tagen nicht überall rumgegeistert wäre, so hätte nichts an das bevorstehende Ende erinnert.
    War es ein Trost, dass alles noch verbleibende Leben zugleich ausgelöscht würde oder nach kurzer Zeit dem eigenen Schicksal folgen müsste? Die Antwort war nein. Auch das Kollektiv macht die Angst um die eigene Existenz und die der geliebten Person nicht wett.
    Wir hatten nie über Religion geredet, geschweige denn unsere existenzialistischen Philosophien ausgetauscht und auch jener Moment schien mir nicht der richtige für so etwas zu sein. Es musste doch noch etwas geben, was Ablenkung versprach…
    »Weißt du, wer mir gerade in den Sinn kommt?«, begann Simon. »Mein Urgroßvater, der im Krieg gefallen ist. Er zog in den Krieg mit dem Wissen, dass seine Frau schwanger war und er sollte sein Kind nie sehen. Der Krieg war sein Ende – das Ende vieler und doch lebte etwas von ihm weiter … « Er zögerte bevor er das Folgende aussprach: »Was wird von uns weiterleben?«
    Ich wusste es nicht und auch dies war meine Angst, dass wir nicht einmal im Gedächtnis der Überlebenden weiterleben würden. Es war das Ende aller Dinge – der Welt, wie sie sich seit Jahrmillionen entwickelt hatte. Ich sagte nichts und schaute in Simons verängstigte Augen.
    »Wir können nicht davonlaufen«, fuhr er fort, »und doch wünschte ich, dass wir es könnten. Wenn es einen Menschen gäbe, den ich retten dürfte, dann wärst du es.« Er beugte sich vor und küsste mich auf meinen regungslosen Mund, dann sagte er weiter: »Dann wüsste ich, dass ich in deinem Geist weiterleben dürfte.« Ich war gerührt und doch wusste ich weiterhin nicht, was ich ihm antworten sollte.
    Er weinte und
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