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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten
Autoren: James Meek
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er sich irgendwas wünschte. Dan hörte auf zu lachen und blieb still im Gras liegen, das Gesicht von Ritchie weggedreht, die Ohren gespitzt.
    »Hättest du gern eine eigene Gitarre?«, fragte Ritchie.
    »Ich hab schon eine«, sagte Dan.
    Ritchie fiel die elektrische Kindergitarre ein, die Dan nie spielte, und das Schlagzeug, das er nicht anrührte.
    »Warum wolltest du Daddys Gitarre haben, Dannyherz?«, sagte Ritchie. »Was ist an deiner auszusetzen?«
    Dan drehte das Gesicht noch weiter weg und schniefte, und Ritchie sah Tränen auf seinen Wangen. Ratlos legte er Dan eine Hand auf die Schulter und fragte, was los sei.
    »Nichts«, sagte Dan. »Ich bin dir egal. Ruby und ich sind dir egal.«
    »Wie kannst du das sagen?«, sagte Ritchie. »Weißt du denn nicht, wie viel es mir bedeutet, euch ein guter Vater zu sein? Kannst du dir vorstellen, wie es für mich als Kind gewesen ist, aufzuwachsen ohne –«
    »Ich weiß«, sagte Dan.
    »Das war ein Tritonus, den du da gemacht hast. Ich weiiiiß . La laaaaa .«
    Dan setzte sich auf, die Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet, ohne zu weinen oder zu lachen, einen halb vertrauten Ausdruck von Verschlagenheit im Gesicht. Vielleicht ist er der Typ in der Schule, der die andern mobbt, der Boss auf dem Schulhof, vor dem alle andern Angst haben, dachte Ritchie mit jäh aufwallender Hoffnung.
    »Wenn du ohne Vater so reich geworden bist«, sagte Dan, »warum ist es dann besser, dass ich einen habe?«
    »Was für eine schreckliche Frage!«, sagte Ritchie langsam, unschlüssig, wie er reagieren sollte. Was sein Sohn gerade zu ihm gesagt hatte, eröffnete mehrere Wege, und er konnte jedem von ihnen folgen und dabei Ritchie bleiben. Den einen Weg beschreitend, beschimpfte er seinen Sohn als herzlosen, undankbaren Lümmel. Auf einem anderen sagte er gar nichts, musterte Dan kalt, drehte sich um, kehrte ins Haus zurück, ohne die flehentlichen Bitten um Vergebung zu beachten, und ging seiner Familie für den Rest des Tages aus den Augen. Der dritte Weg sah so aus, dass er den Kopf schüttelte, leise lachte, mit der Hand durch Dans volle blonde Haare fuhr und ihm sagte, er sei ein pfiffiges Kerlchen.
    Für diese Möglichkeit entschied er sich. Er streckte die Hand nach dem Kopf seines Sohnes aus, doch in dem Moment rief Karin vom anderen Ende des Obstgartens Dans Namen. Dan sprang so rasch auf, dass Ritchies Hand stattdessen sein Ohr streifte. Er warf seinem Vater einen kurzen Blick zu, verwirrt von der merkwürdigen Berührung und ein wenig ängstlich, als meinte er, zufällig einem Schlag ausgewichen zu sein, keinem Streicheln.
    »Sollen wir schaukeln gehen?«, sagte Ritchie.
    »Mum ruft«, sagte Dan. »Ich bin zu alt für die Schaukel.«
    Ruby kam lachend auf sie zugaloppiert, und Ritchie packte sie unter den Armen und hob sie in die Höhe, sodass ihr Kopf die Sonne ausblendete. Er wog ihre nette zappelnde Kompaktheit. Wirre Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht, und Ritchie genoss die Ungeteiltheit ihrer Aufmerksamkeit. »Sollen wir schaukeln gehen?«, sagte er, und sie nickte. Ohne Dan anzuschauen, setzte er Ruby ab, nahm ihre Hand und ging mit ihr zu der Seilschaukel, die vom Ast einer alten Kastanie hing.
    Er schob Ruby auf der Schaukel an und beschloss, es ebenfalls zu versuchen. Ruby meinte, das gehe nicht, er sei zu dick, und obwohl er sich die Frechheit verbat, zweifelte er selbst auch, ob die Schaukel sein Gewicht aushalten würde. Er setzte sich vorsichtig auf das Holzbrett und hörte den Ast knarren. Dan und Karin kamen auf sie zu. Er stieß sich mit den Fersen ab, nahm die Füße vom Boden und schaukelte hin und her. Das Knarren wurde lauter. Es war weniger die Furcht, der Ast könnte brechen, als das Gefühl, dass der Baum litt, was ihn bewog, anzuhalten und von der Schaukel zu steigen, als Dan und Karin herantraten.
    Seine Füße standen kaum sicher auf der Erde, da plumpste die Schaukel ins Gras, als hätte ein Kobold oben im Geäst den Knoten gelöst, und das Seil fiel mit einem pikierten Knall obendrauf. Ruby kreischte, und die anderen zogen scharf den Atem ein und begannen zu lachen. Ritchie fing Karins Blick auf und grinste. Er hatte den Eindruck, dass über diesen Zufallsmoment leisen Bangens der Familienzusammenhalt prompt wieder eingerastet war. Fast hatte er es schnappen hören.
    4
    Im Bad zog Ritchie seine schmutzigen Sachen aus und duschte. Er wusch sich die Haare mit Pflegeshampoo, föhnte sie und frisierte sie mit Gel. Er rasierte sich, nahm Feuchtigkeitscreme
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