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Liebe, lebenslänglich

Liebe, lebenslänglich

Titel: Liebe, lebenslänglich
Autoren: Ursula von Arx
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vermieten, jetzt, wo die mütterlichen Platzbedürfnisse geschrumpft waren?
    Maria Wanner bestätigt die Bemühungen ihres Sohnes um ihr Wohl und das der Familie, und sie wünscht, dass die Dankbarkeit, die sie dafür empfindet, hier deutlich werden möge. Nicht nur hilft er, wo er kann, er bemühte und bemüht sich zudem nach Kräften, ihre Wünsche zu erfüllen. Ihr Mann wollte immer einmal Amerika sehen, der Sohn Rolf machte mit ihm eine zweiwöchige Reise bis hin zum Grand Canyon. Und nachdem er sein Studium beendet hatte, schenkte er seinen Eltern mit dem ersten selbst verdienten Geld einen Urlaub auf Mallorca.
    Maria Wanner ist 74 Jahre alt, klein und beweglich wie Wasser, Rolf hingegen ist groß und robust wie ein Lastwagen. Wobei sein Verhalten sich umgekehrt proportional zu seinem Äußeren entwickelt habe, sagt sie. Er sei sanfter geworden. Zwar werden seine Hilfeleistungen bis heute von Gepolter begleitet, aber früher, als er noch schmaler gewesen sei, waren die Ausbrüche heftiger. Da habe sie seinen Besuch manchmal mit ängstlicher Spannung erwartet, er jagte durchs Haus, sie flatterte wie eine Hilfskraft hinterher, selbst seine zackig-schnellen Schritte begriff sie als Vorwurf; er steckte die benötigten Papiere ein, Steuererklärung, was auch immer, und wehe, es fehlte was.
    Rolf Wanner sagt, ihm scheine, seine Dienste würden nicht angemessen geschätzt, und dass ihn das manchmal schmerze. Doch sucht er die Gründe dafür nicht in dem Lärm, der seine Handlungen begleitet, eher glaubt er, seine Mutter habe keinen Begriff vom Aufwand: »Sie weiß gar nicht, was da alles zu tun ist.«
    Eine andere Erklärung findet er in der Rücksicht seiner Mutter auf seine Geschwister. Sie sei eine geborene Vermittlerin. Sie wolle ihn nicht zu sehr ins Licht rücken, weil das Schatten werfen würde auf seine Brüder. Rolf Wanner, der auf Leistung geeicht ist, kann diese Haltung zwar nachvollziehen, nicht aber billigen: »Ich handle, die anderen reden nur.«
    Die Konkurrenz der Söhne, die um ihre Anerkennung buhlen, macht Maria Wanner traurig. Die Rolle der Schiedsrichterin, die ihr da zugetragen wird, ist ihr fremd. Sie ist in einer ländlichen Großfamilie aufgewachsen, der Vater streng und kalt, sie war nichts wert, als Mädchen schon gar nicht, das kriegte sie eingebläut, von morgens bis abends. Vielleicht habe sie sich deswegen, leider vergeblich, eine Tochter gewünscht, um dieses ihr zugefügte Unrecht wiedergutzumachen.
    Als es ans Heiraten ging, wählte sie als Partner ein Gegenbild zu ihrem Vater. Tatsächlich mussten ihre Kinder nie vor dem Vater stehen, wie sie vor ihrem gestanden hatte, mit unruhigen Augen und zitternden Händen. Ihr Mann verwechselte Respekt nicht mit Angst und unterdrücktem Hass. Doch er forderte von seinen Kindern überhaupt nichts, war keine väterliche Autorität. Vielleicht sei sie darum zum zwar schwachen, aber doch wahrnehmbaren Herzen der Familie geworden, sagt sie.
    Ihr Sohn Rolf hingegen entwickelte sich zum Taktgeber mit tyrannischen Zügen. Dabei war er ihr liebster Junge, vielleicht weil er ihr erster war. Maria Wanner betont seine Hilfsbereitschaft, seine Leichtigkeit, seine Spielfreude, sein Strahlen. »Bis zwölf war er ein super Kind und ein super Schüler«, sagt sie und fügt ein Beispiel an für seine Zugewandtheit: »Auf dem Schulweg stolperte er manchmal fast über seine Füße, so lange noch hat er mir nachgewunken.« Doch in der Pubertät entwickelte sich Rolf für seine Mutter zum Albtraum. »Was es heißt, Kinder zu haben, weiß man erst, wenn sie in die Pubertät gekommen sind.«
    Sie hatte eben ihren fünften Sohn geboren, kümmerte sich allein um Kinder, Haushalt und Garten und half ihrem Mann bei der Buchhaltung. Sie war am Anschlag, doch auf die Mithilfe ihres Ältesten konnte sie nicht mehr zählen. Im Gegenteil. Er bemühte sich, jeden Winkel ihrer Ohnmacht auszuleuchten, etwa indem er sich turmhoch neben ihr aufrichtete und sagte: »Andere Leute haben zwei Kinder. Die wissen halt, was sie tun.« Die Schule interessierte ihn kaum mehr. Wenn sie ihn aufforderte, die Hausaufgaben zu erledigen, fuhr er mit dem Fahrrad vor dem Fenster hin und her, das sie gerade putzte, und winkte aufreizend.
    Mehr noch als sie war der Vater Opfer seines Aufbegehrens. Der hatte nie viel geredet. Jetzt, wo ihn sein Sohn mit bösen Worten herauszufordern versuchte, schloss er sich erst recht in seinem Schweigen ein. Was dem Sohn, der schmähen, stampfen, wüten musste, um
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