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Liebe, lebenslänglich

Liebe, lebenslänglich

Titel: Liebe, lebenslänglich
Autoren: Ursula von Arx
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»Familienziel«, wie er es nennt, doch noch zu erreichen. Er trifft regelmäßig Frauen, die er manchmal im Internet kennenlernt. Am Anfang bringt Rolf Wanner sich immer voller Elan ein. Er biete auch Kindern, sollten die Frauen welche mitbringen, ein ausgeklügeltes und auf ihre Bedürfnisse abgestimmtes Programm. Meistens komme nicht zurück, was er als »Minimalstandard« erwarten würde, also spürbarer Enthusiasmus, leuchtende Augen, Dankbarkeit. Oder es frappieren ihn Einzelheiten, wie etwa mangelhafte Orthografie. Dann erlahmt er schnell, hakt den Fall ab und rüstet sich für die nächste Begegnung.
    In all den Jahren blieb die Mutter die größte menschliche Konstante in seinem Leben. Er sagt: »Sie ist die wichtigste Person für mich. Weil ich mich für sie verantwortlich fühle.«
    Maria Wanner hörte Rolf einmal sagen, er habe schon viele Frauen gehabt. Solche Aussagen beeindrucken sie nicht, sie schockieren sie. Ihr Mann konnte sich nicht ernsthaft einlassen auf seine Nächsten, Rolf kann oder will es offensichtlich auch nicht.
    Sie möchte ihren Sohn mit Hilfe eines Bibelzitats charakterisieren: »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.« Sie meint damit, dass Rolf sich vielleicht manchmal überschätze oder gar verkenne. Für ein schnell erreichbares, konkretes Ziel bringe er eine unfassbare Energie und Ausdauer auf, doch langfristig fehle ihm Härte gegen sich selbst. Im Grunde habe er bis heute nicht verwunden, dass die Talente, die ihm in der Kindheit Tür und Tor öffneten, das nicht auch in seinem weiteren Leben taten.
    Und Himmel, sagt sie und schlägt lautlos die Hände zusammen, er habe ja doch die eine oder andere Niederlage einstecken müssen. Schöne Erfolge, ja, aber auch Enttäuschungen. Sie sieht sich noch heute, in ihrem besten Kleid und mit vor Freude heißen Wangen, wie sie mit ihrem Mann in die Aula einmarschierte zur Maturfeier ihres ältesten Sohnes und wie der sie dann gestenreich zu sich pfiff: Heute werde leider nichts aus der Feier, es sei etwas dazwischengekommen. Wie ein geschlagener Hund habe sie sich durch die nächsten Tage bewegt. Doch dann hat Rolf sie überrascht und ihr gezeigt, wie schnell er zum Angriff übergehen kann. Als zwanzigjähriger, von der Leichtathletik gestählter, schulfauler Lümmel habe er die Courage aufgebracht, der Schulleitung einen zehnseitigen, handgeschriebenen Jammerbrief zu schicken. Wie hart er neben der Schule habe arbeiten müssen, Nachhilfestunden da und Holzhacken dort, dass er auch den Eltern immer zur Hand gegangen sei, von zu Hause gar keine Unterstützung erhalten habe und so weiter. »Nun«, sagt Maria Wanner lachend, »er hat den richtigen Ton getroffen. Er hats geschafft und die Matur gekriegt. Er ist damit durchgekommen, auf unsere Kosten sozusagen.«
    Sie weiß bis heute nicht – und hat Rolf auch nie danach gefragt –, ob er selber glaubte, was er damals schrieb. Maria Wanner sagt, sie habe immer gedacht, Selbsttäuschung sei die hartnäckigste aller Täuschungen. Bei ihr sei das so, doch wie es bei ihrem Sohn aussehe, darüber könne sie nur spekulieren. Sie habe den Eindruck, er habe eine große Gabe, sich die Dinge nach seinem Geschmack und zu seinen Gunsten zurechtzulegen. Das sei bestimmt oft hilfreich, aber sie wisse nicht, wie bequem er wirklich liege in seinem hart erarbeiteten Bett.
    Was sie hingegen wisse, sei, dass Rolfs Vater Nacht für Nacht zufrieden eingeschlafen sei: »Er hat nie Beifall gesucht. Das ist vielleicht der größte Unterschied zwischen den beiden.«
    Rolf Wanner erinnert sich ganz anders an die Geschichte um seine Matur. Das sei kein Jammerbrief gewesen, der ihm damals zum Erfolg verholfen habe. Hauptsächlich habe er gegen den Physiklehrer argumentiert, der nicht akzeptieren wollte, dass einer seiner Schüler neben der Maturvorbereitung so viel Leichtathletik machte, und ihm deshalb eine Schulnote verpasst habe, mit der er die Abschlussprüfung unmöglich bestehen konnte. »Es war Mobbing, ganz klar.« Das habe er aufgezeigt, offenbar überzeugend.
    Er erlebte seinen Einspruch als Sieg, der sein Selbstvertrauen stärkte. Zumal er sich zunächst die Hilfe eines Anwalts geholt hatte, der ihn jedoch nicht überzeugte. Also habe er das Heft selbst in die Hand genommen, und siehe da: »Ich war zwanzig und habe einen Doktor der Jurisprudenz auf seinem Gebiet geschlagen.« Rolf Wanner erinnert sich gern an diese Geschichte. »Ich habe es allen gezeigt!« Das sei sein Gefühl damals
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