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Liebe, lebenslänglich

Liebe, lebenslänglich

Titel: Liebe, lebenslänglich
Autoren: Ursula von Arx
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sich selber zu spüren, die väterliche Schwerfälligkeit bestätigte. Er fühlte sich angestachelt, von neuem loszutreten, gereizt von der Wehrlosigkeit seines Erzeugers, der weiterhin ungerührt Halt in Tätigkeiten suchte, die sich dem Sohn als Gipfel des Leerlaufs darstellten: Den Sack mit den alten Weihnachtskugeln, die der Vater in unendlicher Geduld mit Kupferdrähten versah, zerstampfte der Sohn vor seinen Augen. Oder der Rasenmäher, den der Vater aus dem Motor einer kaputten Waschmaschine gebastelt hatte; er war zwar nicht praktisch und sehr laut, aber er funktionierte – bis er eines Tages verschwunden war. Rolf kannte keine Scheu, er bekannte sich gerne zu der Tat.
    Maria Wanner konnte die Verständnislosigkeit, mit der Rolf seinem Vater begegnete, nachvollziehen. Sie sei manchmal selbst verzweifelt an der Weigerung ihres Mannes, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Doch die Verachtung, mit der ihr Sohn sich Luft verschaffte, ließ sie im Ausweglosen ankommen. »Er hätte ein starkes, vielleicht sogar herrisches Gegenüber gebraucht«, sagt Maria Wanner. Doch sie hatte nicht die Kraft, die von ihrem Sohn geforderten Grenzen zu setzen. Rolfs Geschwister versuchten zu vermitteln oder waren noch zu klein, um mehr zu begreifen als die atmosphärische Zerrüttung.
    Maria Wanner sagt, damals sei ein Riss durch ihre Welt gegangen. Sie war zum Glauben hin erzogen worden, fürs Glück müsse man sich opfern. Wie selbstverständlich hatte sie ihr Leben darauf ausgerichtet, es in einem anderen aufgehen zu lassen. Gott im Himmel war ihr zu weit weg, aber seine Kinder waren ihr immer schon eine Verheißung. Beim Anblick eines Kinderwagens stieg in ihr eine Sehnsucht hoch, auch dann noch, als sie bereits mehrfache Mutter war. Angesichts ihres wild gewordenen Sohnes fühlte sie jetzt Bitterkeit dabei: »Ich hatte geglaubt, mit der Geduld und Liebe, die ich im Überschwang zu geben hatte, sei ich gewappnet gegen alle Übel«, sagt sie. Doch diese Überzeugung konnte sich nicht behaupten gegen die Überforderung Rolf.
    Er legte einen hakenschlagenden Weg zurück, bis er in diesem gutbürgerlichen Quartier einer mittelgroßen Stadt ankam, wo eine ansehnliche Immobilie auf ihren Käufer wartete. In deren Wohnzimmer besinnt sich der 52-jährige Rolf Wanner jetzt seiner Jugend und ihren Verwicklungen mit seiner Gegenwart. Das Ledersofa, auf dem komfortabel vier Personen Platz haben, steht auf einem satt gewobenen Wollteppich in elegantem Beige. Im Kamin knistert ein Feuer und wirft Schatten auf die abstrakten Stillleben an den Wänden. Rolf Wanner sitzt in einem Ledersessel, dem man ansieht, dass er für die Ewigkeit gemacht wurde. Er hat vor sich ein bauchiges Glas Rotwein. Er würde gerne eine Zigarre rauchen, aber die versagt er sich, aus Rücksicht auf meine und seine Gesundheit.
    Aufgewachsen sei er in einem überbevölkerten Haus, in dem sich sieben Personen ein Bad geteilt hätten. Jetzt hat er drei Badezimmer und vier Toiletten für sich allein. Und aufgewachsen sei er mit einem Vater, der selber in engen Verhältnissen groß geworden war, der keinen Wert auf seine äußere Erscheinung legte und dessen Eifer sich darauf richtete, der Kehrichtanlage ausrangierte Dinge zu entziehen und wiederzuverwenden. »Ein kaputter Fahrradreifen weckte eher seine Zuwendung als ein lachendes Kind«, sagt Rolf Wanner. Er habe sich vor seinen Freunden geschämt für seinen Vater, der weder Stolz kannte noch gesellschaftliche Bedeutung. »Statussymbolen konnte er nicht nachrennen, weil er gar nicht wusste, was das ist.«
    Rolf Wanner begriff schon sehr früh, dass sein Vater kein Mensch war, auf den er sich stützen wollte, und er glaubte, dass auch seine Mutter unter der zuweilen grotesken Anspruchslosigkeit ihres Mannes litt. »Sie hat Besseres verdient«, habe er sich gesagt. Und er sieht in diesem Versprechen heute noch das Fundament für seinen Ehrgeiz. »Ich bin der Erstgeborene, also hatte ich Pflichten.«
    Wenn Rolf Wanner an seine Pubertät denkt, erinnert er sich an seine damalige Aufsässigkeit. Deren erschütternde Wirkung auf seine harmoniebedürftige Mutter ist ihm keine angenehme Vorstellung. Aber lebendiger als die Rüpeleien ist ihm sein Wille gegenwärtig, seine Mutter stolz zu machen. »Es gab eine Zeit, da fühlte ich mich von ihr wie ferngesteuert«, sagt er. Er mochte Fußball, lernte jedoch, ihn zu verachten: »Weil meine Mutter sagte, Fußball sei was für die Primitiven.« Er schlug eine
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