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Liebe, lebenslänglich

Liebe, lebenslänglich

Titel: Liebe, lebenslänglich
Autoren: Ursula von Arx
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Kindern gleich das Beste zu geben«. Er hält das jedoch für nutzlos. Zuerst müsse man die Grundlagen beherrschen. Weniges gründlich zu begreifen bringe einen tausendmal weiter als ein Haufen Halbwissen, auch menschlich: »Hätte ich Daniel von Anfang an zum besten Winzer der Welt geschickt, in die Domaine de la Romanée-Conti, dann hätte ich ihn verdorben. Dann wäre er womöglich einfach nur ein arroganter Angeber geworden.« Jetzt hingegen sei die Zeit reif dafür, und nächste Woche gehe er tatsächlich.
    Der Sohn hat seine Bewährungsprobe offenbar bestanden, der Vater ist nun bereit, ihn beruflich unter seinen Schutz und Schirm zu nehmen. Doch der Weg dahin verlief nicht ohne Krisen.
    Daniel Niepoort sagt, er sei nicht mit der Selbsteinschätzung aufgewachsen, der Mittelpunkt der Welt zu sein. Zwar ist er durchaus mit Aufmerksamkeit genährt worden. Dennoch hielt er zeitweise nicht viel auf sich. Dass bei ihm in der Schule Legasthenie festgestellt wurde, verunsicherte ihn zusätzlich. Kein Wunder, suchte er sich damals einen Freund aus, der ihn behandelte wie einen Diener.
    Sein Vater wurde in jenen Jahren für ihn eine Art Sehnsuchtsgestalt, ein fernes Vorbild. Als dieser ihn kürzlich gefragt hatte, ob er ihm erklären könne, warum Anna, seine Halbschwester, sich sträube, Portugiesisch zu sprechen, konnte er das genau erklären: Weil diese Sprache mit Schmerz verbunden ist, mit dem Schmerz des Abschieds. Weil sie an den Vater erinnert, der meist anderswo ist als man selbst.
    Aus dem fernen wurde später ein unerreichbares Vorbild. Die schwierigste Zeit mit seinem Vater war in seinem dritten Lehrjahr. Daniel Niepoort hatte sich entschieden, in dessen Fußstapfen zu treten, und er litt plötzlich unter der vermeintlichen Gewissheit, die seien viel zu groß für ihn. Er beobachtete seinen Vater jetzt mit scharfem Blick und wurde dabei kleiner und kleiner. Er beobachtete, wie dieser Wein degustierte und ihn mit klaren Worten zu bewerten wusste; wie er Vorträge hielt und die Zuschauer mit freundlicher Souveränität bannte; wie er mit Besuchern und seinen Mitarbeitern umging, so selbstverständlich, so ruhig, so sicher. Manchmal sprach er mit ihnen Englisch, dann wieder Portugiesisch, manchmal Spanisch oder Italienisch. Mit Daniels Westschweizer Lehrmeister sprach er Französisch, mit seiner eigenen Mutter Deutsch, mit Daniels Mutter Schweizerdeutsch, alles hatte er im Repertoire. Dazu steckte er voller Ideen und seine Antennen waren permanent auf Empfang. Ging man mit ihm zum Beispiel im südafrikanischen Stellenbosch in eine Buchhandlung, schaute er sich ein bisschen um, kam in ein lockeres Gespräch mit der Besitzerin des Ladens und saß wenige Augenblicke später im Haus gegenüber beim Mittagessen mit einer Cartoonistin, deren Arbeiten er gerade eben entdeckt hatte. Monate später konnte man das Ergebnis dieser Unterredung sehen: als Etikett zu Ubuntu, dem Niepoort-Rotwein zur Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika.
    Sein Vater habe dann irgendwann bemerkt, dass es ihm nicht gut gehe, und er habe versucht, ihm Mut zuzusprechen: »Daniel, keiner erwartet, dass du die Firma übernimmst, wenn du das nicht magst.« Und: »Daniel, du hast alle Freiheiten und alle Zeit der Welt, dir zu überlegen, was du machen willst.« Und: »Daniel, als ich so alt war wie du, wusste ich nicht die Hälfte von dem, was du weißt.« Und als sein Vater bemerkt habe, dass er ihn zu kopieren versuchte, habe er es noch mit Humor versucht: »Daniel, du wirst deinen eigenen Weg gehen müssen. Die Welt ist zu klein, um zwei Idioten wie mich ertragen zu können.«
    Zu Selbstvertrauen hat Daniel Niepoort nicht wegen der tröstenden Worte seines Vaters gefunden, sondern wegen seiner eigenen Taten, und zwar, er gibt es nicht gerne zu: im Militärdienst. Man gab ihm dort die Verantwortung über eine achtköpfige Gruppe. Und siehe da, er war in der Lage, sie zu motivieren. Er bekam die schwierigsten und frechsten Soldaten zugeteilt, und er brachte es fertig, dass sie fünfzig Kilometer marschierten, einfach, weil er es ihnen befahl. Er hatte eine Unterredung mit einem sehr hohen Vorgesetzten, normalerweise dauerte die für Leute seines Rangs zehn Minuten. Bei ihm dauerte sie eineinhalb Stunden, weil er diesem Menschen ins Gesicht sagte, dass er nicht so werden wolle wie er. Dass unter Gebrüll und Demütigungen keiner gern gehorche, dass Respekt der bessere Weg sei, Menschen zu führen. Und er sagte auch, dass er das von seinem Vater
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