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Liebe im Zeichen des Nordlichts

Liebe im Zeichen des Nordlichts

Titel: Liebe im Zeichen des Nordlichts
Autoren: Kathleen MacMahon
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schüttle«, hatte er zu dem jungen Mann gemeint. Wie war noch mal sein Name? Es war unmöglich, sich die vielen Gesichter zu merken. Es war, als kämen jeden Tag neue Mitarbeiter, und einige wirkten noch zu jung für lange Hosen. Allerdings merkte man an der Art, wie sie mit einem sprachen, dass sie sich sehr wichtig fühlten.
    »Hugh«, entgegnete der junge Mann. »Hoffentlich stört es Sie nicht, wenn ich Sie so nenne. Aber bis diese Gipsverbände ab sind,
sind
Sie Patient.«
    Er hätte erwidern sollen, dass es ihn sogar sehr störte. Was brachte diese Leute nur auf den Gedanken zu glauben, dass jeder mit ihnen auf einer Stufe stand? Sie verbrachten ein paar Jahre in Bristol, Brisbane oder Bahrein, und kaum waren sie wieder da, sprachen sie jeden, dem sie begegneten, beim Vornamen an.
    Also nein. Ein erneuter Besuch im Krankenhaus kam nicht in Frage.
    »Ich fürchte, Sie werden beim nächsten Mal jemanden zu mir nach Hause schicken müssen«, antwortete er, damit auch klarwurde, wer hier das Sagen hatte. »Es wird mir nicht möglich sein, einen neuen Termin wahrzunehmen.«
    Der Blick, den die Schwester und der junge Oberarzt wechselten, war ihm nicht entgangen. Doch da sie nicht protestierten, nahm er an, die Runde gewonnen zu haben.
    In fünf Wochen, teilte man ihm mit, würden die Gipsverbände entfernt werden.
    Allerdings weiß er nicht, wie er das noch fünf Wochen aushalten soll. Fünf Tage sind schon zu viel.
     
    Wie ertragen sie ihn nur?
    Das ist eine Frage, die sich viele stellen. Angeblich verstehen sich die Mädchen ja gut mit ihm. Warum, das wissen nur die Götter. Bin ich froh, nicht eine seiner Töchter zu sein, tuscheln die Schwestern. Nicht auszudenken!
    Als sie noch Kinder gewesen waren, hatte er sie manchmal am Samstagvormittag ins Krankenhaus mitgenommen, wenn er niemanden gefunden hatte, der auf sie aufpasste. Während er Visite hielt, lieferte er sie im Schwesternzimmer ab. Addie erinnert sich noch daran, dass die Schwestern sie umringt und angegafft hatten wie Tiere im Zoo. Dann wurden die Schokoladentafeln gezückt, und man nötigte ihnen sogar einen Nachschlag auf.
    Und danach kamen die Fragen. Harmlose Fragen, die ihnen damals nicht aufdringlich erschienen. Addie wäre niemals auf den Gedanken gekommen, dass sie ausgehorcht werden sollte.
    Hat dein Daddy das Kleid für dich ausgesucht? Ist er nicht ein toller Daddy? Wo gehst du denn zur Schule? Und wer betreut dich, wenn dein Daddy arbeitet? Was ist denn dein Lieblingsessen? Dein Daddy kocht doch für euch, oder? Ist er nicht ein wunderbarer Daddy?
    Addie war zu höflich, um nicht zu antworten, und sie tat es sogar gern. Sie saß da, lutschte an ihrer Schokolade, ließ die Beine vom Drehstuhl baumeln und sang wie ein Vögelchen.
    Ganz im Gegensatz zu Della. Della war nicht so leichtgläubig. Addie weiß noch, wie Della die Schokolade verweigerte, und sie hat das Bild vor sich, wie Della mit zusammengepressten Lippen und finsterer Miene dasaß. Della ist noch nie um der guten Manieren willen von ihren Prinzipien abgewichen.
    Im nächsten Moment hastete ihr Dad den Flur entlang, und die Fragen verstummten, als hätte er in die Hände geklatscht. Mein Gott, was war er damals für ein gutaussehender Mann! Wie ein Leinwandidol. Pechschwarzes Haar, funkelnde Augen, sonnengebräunte Haut. Oberschicht bis in die Fingerspitzen. Eine sonore Stimme, die Autorität ausstrahlte.
    Damals dachte Addie, dass er das ganze Krankenhaus leitete und von allen verehrt wurde. Wie ein König in seinem Königreich rauschte er durch die Gänge, und die Leute nickten respektvoll und senkten die Köpfe, wenn er vorbeikam. Erst heute weiß sie, dass er den Menschen Angst eingejagt hat. Und dass sie ihn, wenn sie ehrlich mit sich waren, hassten.
    Eigenartigerweise kümmert Addie das alles nicht. Sie hat ihn wider aller Vernunft und Logik ins Herz geschlossen. Sie erinnert sich daran, wie er ihr als kleines Mädchen das Haar geflochten hat; an seinen Geruch nach Rasierwasser und Seife und frisch gebügeltem Hemd; wie er lässig und breitbeinig auf der Kante des Küchenstuhls saß. Sie stand zwischen seinen Knien, und er teilte mit seinen großen Arzthänden ihr Haar in drei Strähnen, die er anschließend zu einem wirklich annehmbaren Zopf flocht und mit einem Gummiband zusammenfasste. Dann drehte er sie an den Schultern schwungvoll um hundertachtzig Grad und fing auf der anderen Seite an. Er ziepte nie, und seine Zöpfe waren fast so gut wie die der anderen Mädchen.
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