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Liebe auf südlichen Straßen

Liebe auf südlichen Straßen

Titel: Liebe auf südlichen Straßen
Autoren: Horst Biernath
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und sang Elisabeth seinen Ruf: »Limonen! Limonen von Gargnano!« entgegen. Der kleine Kerl war braun wie eine Nuß und trug nichts als eine verwaschene blaue Leinenhose und ein gestreiftes Trikothemd am Leibe. Elisabeth blieb stehen: »Kauf ihm etwas ab, Lorenz! Er ist solch ein hübscher kleiner Kerl, und er sieht so mager aus, als ob er dicht vor dem Konkurs steht...«
    »Ehi, ragazzo«, fragte Lorenz in breitem Dialekt, »wie gehen die Geschäfte?«
    »Oimè, Signore«, antwortete der Junge im Glauben, es mit einem Landsmann zu tun zu haben, mit einer Geste, als würfe er einem Sarg eine Handvoll Erde nach, »die Franzosen haben kein Geld, die Amerikaner fahren zu schnell, und die Deutschen wollen alles geschenkt haben. Aber was ist zu machen? Man muß zufrieden sein, daß man lebt. Haben Sie eine Zigarette für mich?«
    Lorenz schnippte ihm aus der angebrochenen Packung zwei Macedoni entgegen, von denen der Bengel eine hinters Ohr schob.
    »Ich bitte dich um alles in der Welt!« rief Elisabeth entsetzt, »wie kannst du diesem Kind Zigaretten geben?«
    »Scheene Frailein!« sagte der Junge mit Nachdruck und warf Elisabeth einen feurig bewundernden Blick zu.
    »Du kannst davon überzeugt sein, mein Herz, daß dieser Knabe raucht, seit er aus den Windeln geschlüpft ist. Und auf jeden Fall ist es gesünder für ihn, anständige Zigaretten zu rauchen als Stummel zu sammeln und sie in Zeitungspapier zu drehen.«
    »Guttenaben guttenmorgen wienerschnitzl wassisdiur!« sagte der Bursche und hielt Elisabeth einen Zweig mit drei Limonen entgegen. Lorenz fragte nach dem Preis, griff in die Tasche und warf ihm drei zerknitterte und schmutzige Fünfzig-Lire-Scheine zu. Der Handel war abgeschlossen. Elisabeth legte die Limonen, die mit einem Zwirnsfaden an den belaubten Zweig gebunden waren, in ihre Tasche und hielt Lorenz, der schon im Weitergehen war, noch für einen Moment zurück.
    »Wirklich ein hübsches Bürschehen, so braun und so schlank... Aber wie ein richtiger Italiener sieht er eigentlich nicht aus. Er könnte genausogut ein kleiner Stuttgarter oder Münchner sein...«
    Lorenz legte den Arm um ihre Schultern: »Ich möchte wissen, was du dir unter einem richtigen Italiener vorstellst, Liebling... Aber davon abgesehen, von den Kelten bis zu den Amerikanern sind hier im Trichtergebiet des Brenner unzählige fremde Völker und Heere eingeströmt und durchgezogen, verstehst du, und alle haben ihre Spuren bei den Töchtern des Landes hinterlassen...«
    Er wollte sie weiterziehen, aber sie sah ihm aufmerksam ins Gesicht und warf einen Blick auf den Buben zurück: »Weißt du übrigens, daß dieser Junge wie eine Spur aussieht, die du hier hinterlassen hast?«
    »Was sagst du da?« fragte er verblüfft.
    »Oh, ich sagte gerade, daß dieser Junge dir merkwürdig ähnelt. Er hat deine Augenstellung, deine Nase und deinen Mund... Es fiel mir im ersten Augenblick auf.«
    »Das wird daran liegen, daß meine Vorfahren schließlich aus dieser Gegend stammen. Sie kamen aus Verona. Und eine ganze Menge Südliches ist an mir hängengeblieben und schlägt immer wieder durch, obwohl die Bonaventuras seit vier Generationen deutsche Frauen geheiratet haben und eine Vorliebe für Blondinen hatten, wie ich auch! Kein Mensch kommt hier auf den Gedanken, ich könnte kein Italiener sein. Du hast es ja vorhin gemerkt, als der Bursche mit mir sprach.«
    »Scheene Frailein, danke, danke!« rief der Bub ihnen nach.
    »Heda, ragazzo, wie heißt du?« rief Lorenz.
    »Lorenzo, Signore!« antwortete der Junge und verwahrte die soeben eingenommenen Geldscheine in einer alten Konservendose, die an einem Bindfaden zwischen den Füßen des Dreibeins baumelte.
    »Lieber Gott! Und Lorenz heißt er auch!« sagte Lorenz lachend, »jetzt ist die Geschichte natürlich sonnenklar!« Er zog Elisabeth heiter gelaunt an der Hand weiter, sie überquerten die Straße und gingen langsam nach Gargnano zurück. Kurz hinter ihrem Hotel lief ein schmaler Pfad zwischen hohen Mauern bergan. Lorenz verhielt vor einer kleinen Steinbrücke, die über den Straßengraben führte.
    »Ja...«, sagte er, »hier geht es hinauf. Aber willst du die Hütte wirklich aufsuchen?« Er schien wenig Lust zu verspüren, den Weg tatsächlich einzuschlagen und Erinnerungen zu erneuern, die mehr schmerzlich als erfreulich waren. »Aber deswegen sind wir doch hier!« sagte Elisabeth und ging entschlossen voran. Der Pfad stieg unmittelbar nach dem Brückchen steil bergan und lief zwischen
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