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Liebe auf den letzten Blick

Liebe auf den letzten Blick

Titel: Liebe auf den letzten Blick
Autoren: L Beck
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Männerarm würde mich stützen und ich könnte überhaupt darauf stolzieren. Doch starke Männerarme sind für alte Mädchen seltener als Millionengewinne an der Börse.
    »Wie immer, als Letzter«, zischelt Irma. »Milius liebt es, wenn alle auf ihn warten. Bei Filmpremieren kommt er erst, nachdem alle Platz genommen haben.«
    Kurz bevor Milius uns erreicht hat, lässt er seine junge Gattin los und schreitet mit ausladender Geste auf uns zu.
    »Irma!«
    »Karl!«
    Er zieht Irma an sich und gibt ihr rechts und links ein Küsschen auf die Wange. An mich scheint er sich nicht zu erinnern, aber er nickt mir huldvoll zu.
    »Goldbach war der Größte!«, sagt er. »Mein Nachruf wird dich umhauen.« Er klopft sich auf die Brust, wo vermutlich seine Notizen stecken.
    »Ich bin gespannt.« Irma ringt sich ein Lächeln ab.
    »Bis gleich«, empfiehlt sich Milius und hetzt in großen Schritten seiner halbnackten Lola nach, die gerade einem muskulösen blonden Mann mit Stoppelbart um den Hals fällt. Ich glaube, ihn von der Mattscheibe zu kennen. Dann fällt mir sein Name ein. Henning Baum, ein attraktiver Heldendarsteller, wie Milius es vor Jahren auch einmal war.
    »Wir sollten reingehen«, sage ich zu Irma, als niemand mehr auftaucht.
    Sie schüttelt den Kopf. »Einer fehlt noch.«
    »Wer denn?«
    »Der Star!«, flüstert sie, als verrate sie ein Geheimnis. »Die Show kann unmöglich ohne den Hauptdarsteller beginnen.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Otto!« Sie lächelt versonnen und blickt mit wässrigen Augen zur gläsernen Eingangstür. »Da kommt er.«
    Ein hochgewachsener dunkelhaariger Mann undefinierbaren Alters schreitet in gemäßigtem Tempo auf uns zu. In seinen Händen trägt er ein kirschrotes Gefäß, das über und über mit kleinen glitzernden Steinen besetzt ist.
    Eindeutig Otto! Nur äußerlich etwas verändert.
    Der Träger muss demnach der Urnen-Eddie sein. Hätte er nicht das Gefäß in den Händen und dazu diese feierliche Miene aufgesetzt, würde man ihn in der albernen beigen Freizeithose und dem T-Shirt mit Totenkopfaufdruck niemals als Bestattererkennen. Obwohl er in dieser seltsamen Aufmachung seinem Spitzname Urnen-Eddie gerecht wird.
    »Guten Tag, Frau Schöller«, begrüßt er Irma mit feierlicher Miene. »Wo darf ich den Verblichenen … ähm … Ich meine, wie gestaltet sich der Ablauf der …?«
    »Hallo Herr Huber«, entgegnet Irma. »Karl Milius wird Otto in den Saal tragen. Mathilde«, wendet sie sich an mich. »Wärst du so nett …«
    »Schon unterwegs«, antworte ich, eile davon und bin wenig später mit dem Herrn Kommissar wieder zurück.
    Milius übernimmt die Urne von Huber, hält sie sich fast vor die Nase und murmelt etwas, das sich wie »Na, Otto, oide Wurschthaut, auf geht’s zur Abschiedsvorstellung!« anhört. Dann sucht er Irmas Blick. »Es kann losgehen. Gibt’s du Bescheid wegen der Musik?«
    »Mach ich.« Sie hakt sich bei mir unter und zieht mich an die kleine Espressobar, wo sie mit einer der Servicekräfte spricht.
    Gemessenen Schrittes betritt Milius den Kinosaal, wo Irma und ich uns auf die reservierten Plätzen in der letzten Reihe setzen. Direkt neben Fred und Sophie. Während Milius Richtung Bühne schreitet, ertönt Musik und Zarah Leander beginnt zu singen:
    Davon geht die Welt nicht unter,
    Sieht man sie manchmal auch grau.
    Einmal wird sie wieder bunter,
    Einmal wird sie wieder himmelblau …
    Einzelne Lacher ertönen in den Stuhlreihen, werden zu vorsichtigem Gekicher, das erstirbt, als Milius über einige Stufen die Bühne erklimmt. Mit großer Geste stellt er Ottos Urne auf den mit dunklem Samt umhüllten Tisch.
    Gespanntes Schweigen breitet sich aus, als warte man auf den Beginn des Films.
    Schnurrend öffnet sich der schwere Vorhang, und auf der Leinwand erscheint Ottos Porträt. Es zeigt ihn mit fröhlichem Lachen, windzerzaustem Haar und glitzernden Augen. Irma hat es wenige Tage vor seinem Tod in Cannes auf der Promenade geschossen. Als er noch voller Zuversicht auf die Rolle seines Lebens hoffte, die ihn das Leben kosten sollte.
    Die letzten Takte der Musik klingen leise aus. Das Publikum zollt Beifall.
    Als das Klatschen langsam verebbt und schließlich verstummt, räuspert sich Milius.
»Was kann ein Mensch Bessres tun, als lustig sein?«
, deklamiert er mit geschulter Stimme. »Dieses Zitat aus ›Hamlet‹, war Ottos Lebensmotto …«
    Bisher war die Szenerie noch irgendwie surreal, ein absurdes Theaterstück. Doch nun lässt sich nicht mehr
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