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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don
Autoren: Heinz G. Konsalik
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war sofort im Bild, als Eberhard Bodmar sich bei ihm melden ließ.
    Die Reise des Journalisten aus Köln hatte die Diplomaten in dem alten Palais an der Großen Grusinischen Straße Nummer 17 seit Tagen rege beschäftigt. In der Botschaft verstand man nicht, wieso es einem westdeutschen Schreiber gestattet wurde, sich so völlig frei in Rußland bewegen zu können. Bisher hatten die Sowjets es so gehalten, daß für Besuchs- und Besichtigungsreisen ein detailliertes Programm zur Verfügung gestellt wurde, von dem niemand abweichen durfte. Touristengruppen wurden von Fremdenführern des ›Intourist‹, des sowjetischen staatlichen Reisebüros, zu den Sehenswürdigkeiten gebracht, durch Moskau gefahren oder auf den Routen – bei Rundreisen etwa – begleitet. Fotografiert werden durfte alles, was nicht militärisch war … aber was war in Rußland nicht militärisch? Die Dolmetscher erklärten es: die Kremlmauer, der Rote Platz, das Bolschoi-Theater, die Lomonossow-Universität, das Lenin-Mausoleum, die Basilius-Kathedrale, die Kirchen im Kreml, die Stadien, die Parks, das Spasski-Tor, das Kaufhaus ›GUM‹ … aber schon die Fotos von den alten, schönen, bemalten Holzhäusern in den Vorstädten von Moskau erzeugten bei den Fremdenführern Kummerfalten.
    »Sie werden in Kürze abgerissen«, sagten sie wegwerfend. »Es lohnt sich nicht, das zu fotografieren.« Es war, als schämten sie sich, daß um Moskau herum noch Holzhäuser standen, daß ein Funke der uralten Kultur noch zu spüren war, ein Hauch Zarentum, ein Nebel der herrlichen wilden Vergangenheit. Eine Art von Minderwertigkeitskomplex brach dann aus, eine Angst, nicht fortschrittlich genug zu sein. Holzhäuser, mit bemalten Balken und geschnitzten Fenstern, gedeckt mit wind- und sonnenzerfressenen Schindeln oder fahlgrauem uraltem Stroh, eine Schande war's, daß die Leute aus dem Westen so etwas sehen mußten.
    Und nun kam ein deutscher Journalist in das Land und durfte sich frei bewegen, alles schreiben und alles fotografieren. Wen wundert es, daß in der Deutschen Botschaft die Diplomaten zu Rätselratern wurden.
    »Irgend etwas stimmt da nicht«, sagte der Presseattaché zu Eberhard Bodmar und goß ein hohes Glas mit grusinischem Kognak ein. »Wir haben versucht, ganz vorsichtig natürlich, die Beweggründe zu erfahren, warum man bei Ihnen diese Ausnahme macht. Schließlich sind in Stalingrad und in der nachfolgenden Gefangenschaft 234.000 Deutsche ums Leben gekommen … wenn jeder Sohn nun den Spuren seines Vaters nachreisen wollte …« Der Attache lächelte mokant und prostete Bodmar zu. »Das wäre eine neue Völkerwanderung. Bisher reagierten die Sowjets immer sauer, wenn die Rede auf den Krieg kam. Für sie sind und bleiben wir die Provokateure. Und nun erscheinen Sie, lieber Bodmar, ein – verzeihen Sie meine Ehrlichkeit – nicht gerade allgemein bekannter Journalist, und bekommen eine Freiheit, die man noch nicht einmal befreundeten Reportern zugesteht.«
    »Ich war selbst erstaunt.« Bodmar nippte an dem herrlichen, dunkelgoldenen Kognak aus dem Kaukasus. »Aber es ist nun mal so.«
    »Die Männer im Kreml tun nichts ohne Absicht und genaue Planung. Wir fragen uns nur: Was steckt dahinter? Was hat man mit Ihnen vor? Warum gerade Sie? Unsere Recherchen liefen sich tot –«
    »Vielleicht werde ich eines Tages die Antwort erfahren.«
    »Ganz sicher sogar. Der Herr Botschafter ist der Ansicht, daß Ihre Reise eine Art Testfall ist. Ein Versuchsballon, der leicht platzen kann … und dann haben wir die Scherereien.« Der Presseattaché stand auf, holte von seinem Schreibtisch eine Karte und breitete sie vor Bodmar auf dem Couchtisch aus. »Sie wollen von hier nach Stalingrad?«
    »Ja.« Bodmar beugte sich über die Karte und fuhr mit dem Zeigefinger seine Strecke ab. »Von Moskau nach Woronesch. Dann auf den Wegen des deutschen Aufmarschs bis zum Don-Bogen und dann kreuz und quer durch den Kessel von Stalingrad … von Kalatsch bis zur Wolga, von den Traktorenwerken bis nach Beketowka, wo 36.000 deutsche Soldaten an Hunger und Frost gestorben sein sollen. Und ich will – zu Fuß – die Todesstraße vom Flugplatz Pitomnik nach Stalingrad Mitte zurücklegen, diese mit steif gefrorenen Leichen gepflasterte Straße, über die mein Vater in seinem letzten Brief schrieb: ›Zum letztenmal bin ich von Pitomnik zurückgekehrt in die Stadt. Wir sollten Verwundete hinbringen, aber auf der Höllenstraße starben sie unter unseren Händen. Wir haben sie am
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