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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd
Autoren: Chris Moriarty
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hatte keiner von ihnen begriffen, was für Cohen kristallklar war: dass die Säuberungsaktion abgehakt war und der Hof sich gerade wieder in ein Schlachtfeld verwandelte.
    Nun war der Moment also gekommen. Mit einem seltsamen Gefühl von Erleichterung ließ Cohen die Firewall zwischen seinen Netzwerken und EMET fallen. Er griff nach den Datenbanken von Yad Vashem mit ihren millionenfachen Berichten von Grauen und Verzweiflung. Er griff nach dem Bewusstsein der Ender und hob sie aus EMETs mörderischer Illusion ins kalte Licht der Wirklichkeit.
    Das Geschehen im Realraum verlangsamte sich zu einem flackernden Kriechen. Jahrhunderte vergingen, die für die blassen Gestalten, die in Reihen am Rand des Hofes standen, nur Sekunden waren. Cohen spürte, dass sich seine Kernprogramme auftrennten wie ein zerfasertes Seil. Aus ihren Fetzen erhob sich ein neues Wesen, so schrecklich wie der Tod und so kalt wie die Wahrheit. Und Cohen stand diesem Geschöpf von Angesicht zu Angesicht gegenüber und hauchte ihm den Atem seiner Seele ein, bis er zweifelte, ob er selbst noch eine Seele haben würde, wenn er damit fertig war.
     
    Einer nach dem anderen, sodass ihre Bewegungen wie eine Welle durch die Reihen gingen und die Geräusche über den Hof hallten, entsicherten die Ender ihre Waffen.

    Mosche verstand als Erster, was geschah. »Ash«, murmelte er. »Schau doch.«
    Die Gesichter der Ender waren immer noch teilnahmslos und zeugten kaum von Bewusstsein. Geistig waren sie immer noch in den Datenströmen von EMETs Emergenten Netzwerken gefangen. Ihre Waffen aber waren auf Ash und ihre Männer gerichtet.
    Und nicht nur die israelischen Waffen.
    Ashs Blick richtete sich auf Gavi, eine stumme Frage.
    Gavi sah zu Cohen hinüber, der schwankend und blinzelnd dastand, während sich auf Rolands Schultern Schneestaub sammelte.
    »Geht nach Hause«, sagte Cohen mit einer Stimme, die weder ihm noch Roland gehörte. »Ihr alle. Wir müssen nachdenken. Vielleicht werdet ihr trotzdem noch euren Krieg bekommen. Aber nicht heute.«
     
    Als die Ender Ash und Mosche in Gewahrsam nahmen, kamen sie ihrer üblichen kühlen Effizienz so nahe, dass Arkady angenommen hätte, sie würden immer noch aus den IAS-Bunkern gesteuert – wenn er nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, dass die israelischen und die palästinensischen Einheiten wie ein einziger, nahtlos koordinierter Organismus gehandelt hatten.
    Dennoch gab es immer noch etwas, was die Ender nicht auf der Rechnung hatten: Osnat.
    »Mosche!«, rief sie in einem so schrillem Ton, dass sich ihr auf dem Hof jede Person bei Bewusstsein instinktiv zuwandte. Sie war leichenblass und zitterte. Und sie hatte noch ihr Gewehr in der Hand.
    »Du warst es von Anfang an«, sagte sie mit gefährlich bebender Stimme. »Du und Ash, ihr habt mit Turner zusammengearbeitet. Nicht Gavi. Nicht Absalom.«
    »Oh, es war durchaus Absalom«, sagte Mosche und warf einen wütenden Blick in Gavis Richtung. »Didi und Gavi
haben auf der Suche nach dem verdammten Maulwurf das ganze Amt auf den Kopf gestellt. Wir konnten keinen Schritt gehen, ohne in ihre Stolperdrähte und Fallgruben zu tappen. Sie hätten unsere Operation zum Teufel gehen lassen, wenn wir sie in Tel Aviv nicht hinters Licht geführt hätten.«
    Osnat war plötzlich verzweifelt still geworden. »Oh, nein«, flüsterte sie. »Nicht Tel Aviv, nicht Gur .«
    »Was willst du von mir hören, Osnat? Vorwände? Entschuldigungen? Er war auch mein Freund. Meinst du, es hätte mir Spaß gemacht?«
    Das Gewehr zitterte in Osnats Händen. Sie richtete den Lauf auf Mosches Brust, und aus den Augenwinkeln sah Arkady, dass die ersten Ender ihr die Sichtgeräte zuwandten.
    »Osnat!«
    Gavi war von hinten an sie herangetreten und stellte sich jetzt vor sie, wobei er gut sichtbar die Hände hob.
    »Lass es«, sagte er. »Auf diese Weise bringst du Gur auch nicht zurück.«
    »Geh mir aus dem Weg!«
    »Lass es, Osnat.«
    »Ich kann nicht« , sagte sie, ließ sich aber von Gavi die Waffe abnehmen.
    Die Ender zogen sich um Arkady zusammen und führten ihn zum Tor mit der reibungslosen Effizienz einer Ameisenkolonne auf Nahrungssuche, die ihre Beute weiterreichte.
    Als sie durch die Tür im Tor hinaustraten, blickte er noch einmal zurück. Mosche war zu Boden gesunken. Ash stand noch. Osnat weinte, den Kopf an Gavis Brust, und Cohen und Li waren in einer Schar vorsorglicher Ender verschwunden.
    Arkasha stand allein im zertrampelten Schnee und sah so völlig einsam und verloren
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