Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd
Autoren: Chris Moriarty
Vom Netzwerk:
die brutal unterdrückten Genkonstrukte? Alles, was er sah, waren Algenernter und Coltran-Bergleute, Neomenschen, deren Erbgut so planlos zusammengestückelt war, dass keiner genau sagen konnte, ob sie Menschen oder Genkonstrukte oder eine unbekannte Quasi-Spezies dazwischen waren. Leute, die Schlamm und Felsen ihren dürftigen Lebensunterhalt abtrotzten und den Staub der Planeten unter den Fingernägeln trugen. Wegwerf-Leute.
    Arkasha hätte wahrscheinlich gesagt, dass sie schön waren. Er hätte leidenschaftlich über die Literatur aus der Zeit vor der Evakuierung gesprochen, über die gemächlichen, sicheren Strömungen der natürlichen Evolution und den gewaltigen, chaotischen, genetischen Fluss der posthumanen Menschheit. Aber alles, was Arkady hier sehen konnte, waren Armut, Krankheit und Gefahr.
    Der Barkeeper knallte ihre Gläser so fest auf die Theke, dass eine säuerlich riechende Flüssigkeit über den Thekenrand
tropfte. Die Frau nahm ihren Drink und kippte ihn durstig hinunter. Arkady sah ihr mit großen Augen zu. Er konnte riechen, dass sie dieses Zeug öfter trank, und es roch unangenehm. Wie Hefe und alte Haut und verbrauchte Luftfilter: all die Gerüche, die er nach und nach als Gerüche der Menschen einzuordnen lernte.
    »Also.« Die Frau benutzte das Wort wie einen ganzen Satz. »Wer hat dich wirklich geschickt?«
    »Ich bin auf eigene Faust hier. Ich dachte, du verstehst das.«
    »Wir haben verstanden, dass du uns diesen Eindruck vermitteln willst.« Sie hatte die Angewohnheit, einzelne Worte so zu betonen, als käme ihnen eine Bedeutung zu, die inhaltlich nicht gerechtfertigt war, und Arkady fragte sich, ob überhaupt etwas in ihrer Welt bedeutete, was es zu bedeuten schien. »Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Profi, der sich als Amateur ausgibt, die Linien überquert.«
    Arkady spielte mit seinem Glas herum, versuchte Zeit zu schinden. Erkläre nichts, entschuldige dich nicht , hatte Korchow ihm gesagt. Und gleich danach hatte er ihm mitgeteilt, was mit Arkasha geschehen würde, wenn er versagte.
    »Ich bin eine Myrmekologe«, sagte er ihr.
    »Was immer das sein mag.«
    »Ich studiere Ameisen. In Zusammenhang mit Terraforming. «
    »Blödsinn. Terraforming ist gefährlich. Und du bist ein A-Klasse-Konstrukt. Du riechst danach. Niemand, der etwas wert ist, landet in einem so blöden Job.«
    »Es war meine Funktion«, sagte er reflexartig, bevor ihm einfiel, dass dieses Wort für Menschen nichts bedeutete.
    »Du meinst, du hast dich freiwillig gemeldet?«
    »Entschuldigung.« Arkady war aufrichtig verwirrt. »Was heißt ›freiwillig‹?«
    Sie kniff das rechte Auge zusammen, aber das andere blieb gleichmütig auf etwas in mittlerer Entfernung gerichtet. Eine
alte Narbe durchschnitt die Braue über dem trägen Auge, und zum ersten Mal kam Arkady auf den Gedanken, dass es vielleicht gar kein Geburtsfehler war, sondern die Folge einer fehlgeschlagenen Installation selbstgemachter Wetware. Was war, wenn sie nicht auf einen internen RAM-Speicher zugriff, sondern auf die virtuelle Welt des Stromraums, die von spukhaften Fernwirkungen bestimmt wurde? Was sah sie dort? Wer bezahlte ihre Uplink-Gebühren?
    Eine Bewegung erregte Arkadys Aufmerksamkeit, und als er sich umdrehte, sah er einen einsamen Säufer, der ihn vom anderen Ende der verschmierten Theke her anstarrte. Er sah, wie der Mann seine für Stationsbewohner typische faltenlose Haut betrachtete, seine allzu symmetrischen Züge, die Zeichen für einen perfekten Gesundheitszustand, der von generationenlanger soziogenetischer Manipulation zeugte. Ihre Blicke trafen sich, und Arkady fiel etwas auf, das er sofort hätte bemerken müssen: der graugrüne Farbtupfer eines Käppchens, wie es die Polykonfessionellen trugen.
    Von welcher Religion ein Polykonfessioneller herstammte, erkannte man angeblich an den Zeichen, die er trug. Ein Davidstern für Juden; zwei Zeichen, an die sich Arkady nicht erinnern konnte, für Sunniten und Shiiten; eine Vielzahl kryptischer Symbole für diverse charismatische christliche Sekten. Er warf dem Polykonfessionellen noch einen unauffälligen Blick zu, aber das einzige Zeichen, das er an ihm entdeckte, war ein Silberanhänger aus zwei geschwungenen Linien, die sich zu einer abstrakten Fischform überschnitten.
    Die Polykonfessionellen ängstigten Arkady mehr als jede andere Gefahr im UN-Raum. Es waren Polykonfessionelle gewesen, die hier auf der Maris-Station eine ganze Vertragsgruppe umgebracht und ihre Körper so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher