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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd
Autoren: Chris Moriarty
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schrecklich verstümmelt hatten, dass ihre Heimatsyndikate außer Entschuldigungen von den Diplomaten nichts zurückbekamen. Die übrige UN hatte mit den Syndikaten Frieden geschlossen – wenn man diesen schwelenden Kalten Krieg als Frieden bezeichnen
wollte –, die Polykonfessionellen aber nicht. Und wenn man sie nach den Gründen fragte, benutzten sie Worte wie Entartung und Dschihad und Kreuzzug – Worte, die in einer zivilisierten Sprache eigentlich nicht mehr vorkommen sollten.
    Arkady warf einen Blick in den Spiegel hinter der Bar und versuchte sich zu vergewissern, dass er in diesem Lokal nicht so sehr auffiel, dass es ihn in Gefahr brachte. Was er sah, beruhigte ihn nicht im mindesten. Korchows Team hatte ihm die Nase und einen Wangenknochen gebrochen, eine Vorsichtsmaßnahme, die ihm auf Gilead barbarisch vorgekommen war. Aber man musste Jahrzehnte auf der Sohle eines Gravitationsabgrunds verbringen, bevor man so faltig und ausgezehrt aussah wie ein Planetengeborener. Und es hätte ein ganzes Leben gedauert – das Leben eines anderen –, um Arkadys heitere und offene Züge, die er seiner Geburt in einer Brutstation verdankte, in die aggressive Maske umzuformen, die die meisten Menschen in der Öffentlichkeit trugen.
    Arkady schaute noch einmal zu dem Polykonfessionellen hinüber und stellte fest, dass der Mann ihn immer noch anstarrte. Ihre Blicke trafen sich. Der Polykonfessionelle drehte den Kopf, ohne den Blick zu lösen, und spuckte auf den Boden.
    »Geschöpf der Zauberer«, brummte die Frau neben ihm, »werde wieder zu Staub!«
    »Was?«, fragte Arkady, obwohl er ahnte, dass die Worte an den Polykonfessionellen gerichtet waren.
    »Das ist aus dem Talmud.« Wieder dieser leere, nach innen gerichtete Blick, als sie auf ihren RAM-Speicher zugriff oder in den Spinstrom abtauchte. » Dann schuf Rabbah einen Menschen und schickte ihn zu Rabbi Zera. Rabbi Zera sprach zu ihm, erhielt jedoch keine Antwort. Darauf sagte er zu ihm: ›Geschöpf der Zauberer, werde wieder zu Staub!‹ So ist der erste Golem gestorben.«
    »Was ist ein Golem?«, fragte Arkady.

    »Ein Mensch ohne Seele.« Ihr Lachen war so hart wie alles an ihr. »Du.«
    Arkady tat einen zittrigen Atemzug, der in einem Hustenanfall endete. Er bekam Fieber. Sein Immunsystem legte einen Extragang ein, um den Angriff abzuwehren, den der Aufenthalt in einem geschlossenen Raum mit tausenden unbekannten menschlichen Pathogenen darstellte. Er hoffte, dass es nur allergische Reaktionen waren. Er konnte es sich nicht leisten, jetzt krank zu werden. Und er wagte sich nicht vorzustellen, was die menschlichen Ärzte im UN-Raum mit seinem entschieden posthumanen Immunsystem anstellen würden.
    Er hob sein Glas und nippte vorsichtig daran. Bier. Und nicht so schlecht, wie es roch. Dennoch, er mochte die kühle Haut von Kondenswasser nicht, die sich bereits auf dem Glas gebildet hatte. Es war ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Station unterdimensioniert und überbevölkert war und die Lebenserhaltungssysteme im Grenzbereich arbeiteten. Eine Syndikatsstation mit derart schlechter Luft hätte alle nicht lebensnotwendigen Anlagen abgeschaltet und seine Sprösslinge in die benachbarten Brutstationen evakuiert, um nichts zu riskieren. Aber die Leute hier kümmerten sich nicht darum. Und auf dem Weg hierher hatte Arkady eine Gruppe völlig unbeaufsichtigter Kinder gesehen, die in gefährlich großer Entfernung vom nächsten Schutzraum spielten. Man konnte sich mit Leuten jahrelang darüber unterhalten, wie billig das Leben im menschlichen Raum war, aber so richtig begriff man es erst, wenn man etwas Derartiges sah …
    Du hast dich geirrt, Arkasha. Sie sind eine andere Spezies. Wir sind getrennt durch unsere Geschichte, unsere Ideologie, durch die Gene. Alles, was wir gemeinsam haben, ist die Erinnerung an die Erde, wie sie war, bevor wir sie umgebracht haben.
     
    Ihr Name war Osnat.
    Hebräisch? Deutsch? Äthiopisch?

    Arkasha hätte sicher gewusst, welche halbtote Sprache einen solchen Namen hervorgebracht hatte. Genau solche Dinge hatte Arkasha immer gewusst. Und genau solche Dinge hatte Arkady selbst nie gelernt, weil er angenommen hatte, dass Arkasha oder jemand wie Arkasha immer in der Nähe sein und ihn aufklären würde.
    Osnat führte ihn so zielsicher durch die verborgenen Korridore der Station, als sei sie dort geboren worden. Als sie schließlich in die schattige Gasse eines privaten Docks schlüpfte, kam das so unerwartet, dass Arkady ein Stück
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