Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
Autoren: Susan Cooper
Vom Netzwerk:
seinem hageren, von tiefen Falten durchzogenen Gesicht mit der kühnen Raubvogelnase und den umschatteten Augen schwand ein wenig. »Hier sind jetzt die Sechs«, sagte er dann, »zum ersten und letzten Mal vereint an dem Ort, der für uns bestimmt war, auf einem Kreidehügel in den Bergen von Chiltern in Buckinghamshire, wo vor Jahrhunderten Männer, die vor der Finsternis flohen, vergeblich versuchten, ihre Schätze zu verstecken, und den Himmel um Schutz anbeteten. Seht es euch an. Seht gut hin und erhaltet ein bisschen davon am Leben.«
    Sie fragten sich, was er meinen könnte, und starrten eindringlich und lange auf den mit weichem grünem Gras bedeckten Hang, auf dem hier und dort winzige orangegelbe Leinkrautblüten aufleuchteten, umflattert von kleinen blauen Schmetterlingen. Sie schauten auf das Buchenwäldchen, das den Hügel bedeckte, und auf die mächtige, geheimnisvolle Eiche genau unterhalb des Wäldchens, auf den klaren blauen Himmel mit den vereinzelten, rundlichen weißen Wolken.
    Und plötzlich, obwohl Merriman sich nicht gerührt hatte, begannen sie alle zu blinzeln, als das, was sie sahen, sich zu trüben schien, und sie taumelten ein wenig, hörten ein Singen und Benommenheit nahm ihnen das Gleichgewicht. Sie sahen alles ringsum merkwürdig erbeben, wie Luft, die über einem Feuer tanzt. Die Umrisse der Rieseneiche verzerrten sich, wurden schwächer und verschwanden ganz, das Grün des Hügels wurde dunkler und der Hang bildete keinen sanften Bogen mehr. Obwohl die Sonne immer noch schien, gab es jetzt dunklere Flecke auf dem Hügel, gelb gefleckt, grün, braun und purpurfarben, wo Stechginster und Farn und Heidekraut wuchsen. Andere Umrisse erhoben sich in der Ferne, Berge, undeutlich grau und blau an einem dunstigen Horizont. Und als sie sich umblickten, um zurückzuschauen, sahen sie unter sich ein breites Tal, das Sand golden färbte, und das gewundene silberne Band eines Flusses, der dem unermesslichen blauen Meer zustrebte. Sie hörten das unregelmäßige, ziellose Blöken von Schafen hin und wieder die Stille durchbrechen und irgendwo tief unter ihnen bellte ein Hund. Über ihnen ließ sich eine Möwe von den walisischen Bergen zu Fluss und Meer hinuntergleiten, ihren melancholischen Klageruf wieder und wieder ausstoßend.
    Merriman atmete langsam und tief ein und wieder aus. Er sagte noch einmal leise: »Seht gut hin.«
    Jane schaute hinaus auf die goldene Sandbank, die der Fluss als Schutz vor dem Meer gebildet hatte, und fragte mit sehr dünner Stimme: »Werden wir dich nie wiedersehen?«
    »Nein«, sagte Merriman. »Keiner von euch, außer meinem Will, dem Wächter hier. Und es ist richtig so.«
    Ein Befehl und eine klare Stärke in seiner Stimme ließen sie alle schweigen. Sie sahen ihn an, gebannt von den strahlenden, dunklen Augen und dem hageren Gesicht.
    »Dann vergesst nicht«, sagte er, »dass es jetzt ganz und gar eure Welt ist. Eure und die der anderen. Wir haben euch vom Übel erlöst, aber das Übel, das in den Menschen selbst steckt, müssen am Ende die Menschen auch unter Kontrolle bringen. Die Verantwortung und die Hoffnung und das Versprechen liegen in euren Händen — in euren und denen der Kinder aller Menschen dieser Erde. Die Zukunft kann nicht die Gegenwart verantwortlich machen, genauso wenig, wie die Gegenwart die Vergangenheit verantwortlich machen kann. Die Hoffnung ist immer da, immer am Leben, aber nur eure entschlossene Obhut kann aus ihr ein Feuer machen, das die Welt wärmt.«
    Seine Stimme hallte über den Berg, leidenschaftlicher, als sie je zuvor eine Stimme hatten klingen hören, und sie standen stumm wie stehende Steine da und hörten ihm zu.
    »Denn Drake liegt nicht mehr in seiner Hängematte, Kinder, noch schläft Arthur irgendwo, und ihr könnt nicht müßig darauf warten, dass irgendwer zum zweiten Mal kommt, denn jetzt gehört die Welt euch und es ist eure Sache. Besonders jetzt, da der Mensch die Möglichkeit hat, diese Welt zu zerstören, ist der Mensch dafür verantwortlich, sie zu erhalten, mit all ihren Schönheiten und ihren wunderbaren Freuden.«
    Seine Stimme wurde weicher, und er sah sie mit weit entrückten, dunklen Augen an, die in die Zeit hinauszuschauen schienen. »Und die Welt wird immer noch unvollkommen sein, weil der Mensch unvollkommen ist. Gute Menschen werden immer noch von schlechten getötet werden oder manchmal von anderen guten Menschen und es wird immer noch Schmerzen und Krankheiten und Hungersnöte geben, Wut und Hass.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher