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Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte

Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte

Titel: Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte
Autoren: Kuehnemann Nadine
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Aggressionen in Jil.
    Sie zog sich die Decke über den Kopf und schrie aus voller Kehle in ihr Kissen. Es tat gut, seinem Ärger Luft zu machen. Sie musste sich wieder beruhigen, ansonsten würde der Hahn des Nachbarn keinen weiteren Sonnenaufgang erleben.
    Es half nichts. An Schlaf war nicht mehr zu denken, egal wie fest Jil sich die Decken auf die Ohren presste. Wie konnten nur all die anderen Nachbarn dieses Kikeriki ignorieren? Das Biest würde alsbald jedenfalls nicht aufgeben, Jil in den Wahnsinn zu treiben, deshalb setzte sie sich schlaftrunken im Bett auf. Draußen war es noch dunkel. Sie hatte sicherlich nicht mehr als drei Stunden geschlafen. Sie verfluchte sich dafür, die halbe Nacht durch die Wohnviertel geschlichen zu sein, nur um sich den Inhalt halb geleerter Bierflaschen einzuverleiben, die die feiernde Bevölkerung an einem Freitagabend achtlos weggeworfen hatte.
    Ihr Kopf schmerzte. Jil strich sich die zotteligen Haare aus dem Gesicht, stieß einen missmutigen Seufzer aus und schlug die Decke beiseite. Dann stand sie auf, schlüpfte in ihre zerschlissenen Pantoffeln und taumelte zur Tür. Sie trat auf den Flur hinaus und lauschte. Aus dem Nebenzimmer drangen keine Laute, ihre Schwester schlief noch tief und fest. Unten aus der Stube hörte Jil das laute Schnarchen ihres Vaters. Vermutlich war er wieder betrunken zu Bett gegangen.
    Es war kalt im Haus. Dana musste vergessen haben, am Abend den Kachelofen neu zu bestücken. Wenn der Vater erwachte, würde es ein Donnerwetter geben. Jil würde jedenfalls kein Feuer machen. Stattdessen zog sie sich ihr Nachthemd enger um die Schultern und stieg die knarrende Treppe hinunter in die Küche. Sie entzündete eine Petroleumlampe und schlüpfte in ihre Kleidung, die sie in der Nacht über eine Stuhllehne gehängt hatte. Sie wusste, dass sie sich eigentlich hätte waschen müssen, aber Jil verspürte nicht den Drang, das Haus zu verlassen und den ganzen Weg bis zur Wasserpumpe zu gehen. Sie entwirrte notdürftig ihre Haare mit den Fingern und rieb sich das Gesicht. Ihr Blick fiel auf den Herd und die alte Teekanne, die darauf stand. Sie hätte jetzt ein warmes Getränk vertragen können, doch dazu hätte sie Feuer machen müssen. Die Faulheit siegte schließlich. Jil nahm den Teekessel vom Herd. Es war noch Wasser darin. Sie goss sich etwas davon in eine Tasse und trank. Das Wasser schmeckte widerlich abgestanden. Dann setzte sie sich auf den Küchenstuhl, stemmte die Ellenbogen auf die Tischplatte und stützte ihren Kopf mit den Händen. Bald würde ihre Schwester aufstehen und frisches Wasser holen, so lange würde sie noch warten müssen. Wahrscheinlich müsste Jil sich dann wieder das Genörgel anhören, weshalb sie denn bloß so faul sei. Nebenan schnarchte der Vater noch immer.
    Jil wusste nicht genau, ob sie eingenickt war, aber als sie hochschreckte, ging draußen bereits die Sonne auf. Sie stieß mit dem Arm versehentlich ihre halb geleerte Tasse vom Tisch, die daraufhin über den Dielenboden polterte und gegen den Metallfuß des Herdes stieß. Das Geräusch durchschnitt die Stille wie ein Peitschenhieb. Nur Augenblicke später vernahm Jil das verärgerte Knurren ihres Vaters aus der angrenzenden Stube. Sie hörte das Knarren des Sofas, dann schlurfende Schritte.
    »Jil!« Seine Stimme war tief und laut. Er betrat die Küche, sein Hemd war zerknittert, die Schuhe hatte er scheinbar auch nicht ausgezogen, bevor er eingeschlafen war. Schon aus der Distanz roch Jil den Schnaps in seinem Atem.
    »Jil, was soll das? Hast du nicht alle Tassen im Schrank?«
    Jil blieb vollkommen ungerührt. »Nein, im Schrank ist die Tasse tatsächlich nicht mehr. Sie liegt unter dem Herd.«
    »Wenn du wieder frech wirst, dann kannst du was erleben.« Ihr Vater machte einen bedrohlichen Schritt auf sie zu und hob die Hand, als wolle er sie schlagen. Dann schwankte er jedoch zur Seite und stützte sich gegen den Türrahmen. Jil gab sich unbeeindruckt. Sie kannte die Ausbrüche ihres Vaters nur allzu gut, vor allem, wenn er getrunken hatte.
    »Du nichtsnutziges Ding, wie spät ist es?« Seine Worte und Reaktionen waren die eines Säufers, unlogisch und unberechenbar. Jils Blick glitt hinüber zu der Pendeluhr, die über der Kommode in der Küche hing. Sie hatte nie gelernt, eine Uhr zu lesen, doch sie wusste, dass die Position der Zeiger bedeutete, dass es noch furchtbar früh war.
    »Entweder machst du dich bald nützlich, oder du fliegst aus meinem Haus«, brüllte der
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