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Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte

Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte

Titel: Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte
Autoren: Kuehnemann Nadine
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»Ein Mann und eine Frau. Möchte wetten, sie treiben sich heimlich in der Hafengegend herum. Ehebrecher möchte ich meinen.«
    Ray bewunderte Leswards scharfe Sinne bisweilen. Erst eine ganze Minute später konnte auch Ray den Hut des Mannes und das wallende Kleid der Frau erkennen. Rays Sinne waren zwar schärfer als die der Menschen, aber Lesward war um Jahrhunderte älter als er und sein Blut war rein. Er konnte in der Dunkelheit perfekt sehen.
    Ein glockenreines Lachen hallte von den Häuserwänden wider. Der Mann legte seinen Arm um die Hüfte der Frau, die Ray auf höchstens achtzehn Jahre schätzte. Sie stieß den Arm ihres Begleiters herausfordernd beiseite, lachte ihn dabei jedoch an. Der Mann drückte sie daraufhin nur noch fester an sich und küsste sie energisch auf den Mund. Arm in Arm verschwanden die beiden hinter der nächsten Ecke. Noch Minuten später konnte Ray das angeheiterte Lachen der Dame hören.
    Ein frischer Wind kam auf. Er peitschte Ray die Haare ins Gesicht. Er fror nicht, trotzdem schloss er die Knopfleiste seines Ledermantels. Plötzlich riss Lesward in einer ruckartigen Bewegung den Kopf nach oben und neigte ihn, als ob er lauschte. Seine gelben Augen zuckten hin und her. Ray erinnerte er in diesem Moment an einen Raubvogel.
    »Es kommt jemand«, flüsterte Lesward.
    Aus einer Seitengasse, die neben dem Gebäude, auf dem Ray und Lesward sich befanden, in die breite Hafenstraße mündete, tauchten fünf Menschen auf, drei junge Männer und zwei Damen. Sie unterhielten sich flüsternd. Ihre schlurfenden Schritte waren für Rays Ohren überdeutlich zu hören. Sie steuerten geradewegs auf die alte Halle zu. Um die Schultern der jungen Frauen hingen Umhänge aus dickem Pelz. Vermutlich gehörte sie zur Oberschicht. Die halbwüchsigen Kerle trugen je einen Rucksack. Ihre Haare waren streng gescheitelt, die Anzüge tadellos.
    »Sind sie das?«, flüsterte Ray.
    Lesward nickte. »Das sind sie. Sie treffen sich hier, um zu trinken und sich der Wollust hinzugeben. Mehrmals pro Woche kommen sie hierher. Das wissen unsere Feinde auch.«
    Ray beobachtete, wie der erste Mann durch ein zersplittertes Seitenfenster in die Halle hinein stieg. Er reichte seiner weiblichen Begleitung eine Hand. Als auch die anderen beiden Männer und die verbliebene Frau im Inneren der Halle verschwunden waren, drang ein schwacher Lichtschein durch die zerstörten Fenster. Vermutlich hatten sie eine Lampe entzündet. Wenn Lesward Recht behielt, würden ihre Feinde ebenfalls bald hier aufkreuzen. Junge Menschen allein in einer abgelegenen Halle – das war ein gefundenes Fressen für die Sedharym. Lesward bezeichnete sie auch gerne als die Parasiten der Unterwelt. Sie kamen nachts aus ihren Löchern und vergingen sich an ahnungslosen Menschen. Seit mehr als einem Jahrhundert lieferten sie sich Kämpfe mit dem Orden, in den Ray hinein geboren wurde und der sich seinerseits einen Spaß daraus machte, Sedharym zu töten. Genau genommen gehörten auch die Anhänger seines Ordens zur Rasse der Sedharym, aber davon wollte Lesward nichts wissen.
    Das Licht im Inneren der Halle flackerte, gelegentlich drangen Wortfetzen oder Gelächter an Rays Ohren. Es dauerte keine halbe Stunde, als sich erneut etwas auf der Straße bewegte. Ray lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er krallte sich in den Stuck der Gebäudemauer, bis sich seine Fingerknöchel weiß färbten. Sein Blut schien zu kochen, als er die drei Gestalten beobachtete, die lautlos über die Straße schwebten. Ihre Bewegungen waren schnell, schneller als die der Menschen, und trotzdem von einer Eleganz wie man sie nur bei Raubkatzen findet. Sie trugen lange Mäntel, deren Kapuzen sie tief ins Gesicht gezogen hatten. Sie sahen sich kurz nach allen Seiten hin um, bevor sie ebenfalls durch das zerbrochene Fenster in die Halle eindrangen. Ray knurrte und knirschte mit den Zähnen.
    »Da sind sie. Ich will ihr Blut riechen«, sagte er.
    Er wollte gerade mit einem gewaltigen Satz vom Dach springen, als Lesward ihn an der Schulter zurück hielt.
    »Lass das. Wir wollen da drin keine Panik. Wir warten, bis sie wieder heraus kommen. Lass uns hoffen, dass sie wenigstens den Anstand besitzen, den Menschen anschließend das Gedächtnis zu löschen.«
    Ray spürte Wut in sich aufschäumen. Er suchte mit schnellen Augenbewegungen die Bäume und Gebäude rings um die Halle ab. Irgendwo dort hockten sein Vater und die beiden anderen Krieger. Nichts rührte sich. Scheinbar warteten
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