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Liberator

Liberator

Titel: Liberator
Autoren: Richard Harland
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Sephaltina hatte ihn angefleht zu bleiben und sie zu pflegen, aber er hatte sie allein gelassen, um Riff bei der Operation zu begleiten. Und selbst das war noch nicht das Schlimmste.
    Er hatte die Szene mit erdrückender Klarheit vor Augen. Sephaltina auf dem Diwan, ihr Kopf gegen die Kissen gepresst, schreiend und kreischend: Du willst sie statt mich … Wenn du mit ihr mitgehst, wirst du es für immer bereuen … Du willst, dass ich sterbe – dann sterbe ich eben .
    Was hatte sie sich angetan? Hatte sie es getan, weil sie ihn liebte und nicht ohne ihn leben konnte? Ihm war speiübel vor Schuldgefühlen.
    Hatta kniete neben einem verwundeten Soldaten und untersuchte seine Wunden. Ein Korb mit Verbandszeug und Salben stand neben ihr auf der Erde. Der Mann trug die grüne Uniform der Österreicher, und ein Arm stand in einem unnatürlichen Winkel von seinem Körper ab. Vielleicht war er von einer der Sturmleitern gefallen …
    »Hatta?«
    Sie sah mit mürrischen Blick auf. »Ich bin eine Heilerin, keine Kämpferin. Ich werde ihn hier nicht unbehandelt liegen lassen, bloß weil er ein Feind ist.«
    »Hab ich doch gar nicht gesagt.«
    »Na gut.«
    Sie beugte sich über den Mann, nahm seinen Arm und seine Schulter fest in den Griff und riss plötzlich kräftig daran. Der Mann jaulte auf und verlor das Bewusstsein.
    »Na bitte.« Hatta lächelte mit grimmiger Zufriedenheit. »Jetzt steckt die Kugel wieder in der Gelenkpfanne. Wenn er aufwacht, wird er froh sein.«
    Sie blickte Col ins Gesicht. »Gut. Jetzt du. Ich denke, du willst wissen, was mit deiner Frau passiert is.«
    Col verabscheute ihren finsteren Blick. Gab sie ihm die Schuld? Dabei war sie es doch, die ihm gesagt hatte, er könnte Sephaltina beruhigt zurücklassen und Riff begleiten.
    »Es macht mich krank.« Hatta spuckte aus. »Der überflüssigste idiotischste Tod, den ich jemals erlebt habe.«
    »Was hat sie getan?«
    »So ein dummes Mädchen! Wie kann ich Leute gesund machen, wenn sie nich gesund werden wollen?«
    »Ich hätte nie gedacht, dass sie es tun würde. Ich habe es einfach für eine Form der Erpressung gehalten.«
    »Wovon redest du?«
    »Na, sie hat sich doch selbst umgebracht.«
    Hatta gab ein derbes Lachen von sich. »O ja. Sie hat sich umgebracht.«
    »Hör auf zu lachen! Was glaubst du denn, wie ich mich fühle?«
    »Du hast überhaupt nix damit zu tun.«
    »Was?«
    »Sie hat sich nicht deinetwegen das Leben genommen. Sie hat sich umgebracht, weil sie so gierig war.«
    »Gierig?« Cols Gedanken überschlugen sich. »Etwa die Bonbons?«
    »Ja. Ihre geliebten Bonbons. Du warst ja dabei, wie ich ihr erklärt habe, dass sie keine essen darf, bevor die Wunde ganz und gar verheilt ist. Und dann habe ich die Bonbonschachtel in der Vitrine eingeschlossen.«
    Col entsann sich eines Satzes von Sephaltina: » Am Ende bekomme ich immer, was ich will , hat sie gesagt.«
    »Ha! Genau das hat sie bekommen! Sie hat nachts das Glasfenster der Vitrine mit einem Stuhlbein eingeschlagen!«
    Col erwähnte nicht, wie sehr Sephaltina es liebte, Dinge zu zertrümmern.
    »Ein Bonbon wäre ja schon gefährlich gewesen«, fuhr Hatta fort, »doch das hätte sie sicher nicht umgebracht. Aber ein Bonbon war Fräulein Gierschlund ja nicht genug. Sie hat sich gleich eine ganze Handvoll in den Mund gestopft und versucht, alle auf einmal zu schlucken.«
    »Und das hat sie umgebracht?«
    »Ich habe sie morgens gefunden. Sie lag neben der Vitrine auf dem Fußboden. Der ganze Verband war vollgeblutet. Aber ich glaube nicht, dass sie daran gestorben ist. Sie muss erstickt sein, denn die Bonbons steckten ihr noch immer im Mund und im Hals.«
    »Das ist furchtbar.«
    »Nein. Es ist idiotisch. Die idiotischste Geschichte, die ich jemals gehört habe.« Sie starrte ihn an und zeigte auf sein Gesicht. »Was ist das denn?«
    »Was ist was?«
    »Du weinst doch nicht etwa um sie?« Col fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und spürte etwas Feuchtes.
    »Also wirklich. Jetzt haben wir also den zweiten Idioten«, sagte Hatta ärgerlich. »Das reicht. Lass mich jetzt, damit ich mich um die Leute kümmern kann, die auch gesund gemacht werden wollen.«
    Sie stand auf, griff sich ihren Korb und machte sich zu den nächsten verletzten Soldaten auf. Col sah ihr nach.
    Es war nicht richtig, auf Sephaltina wütend zu sein. Hatta hatte ja keine Ahnung, wie Mädchen unter dem alten Regime erzogen worden waren. Vermutlich war Sephaltina wirklich verwöhnt und egoistisch und verantwortungslos
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