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Liberator

Liberator

Titel: Liberator
Autoren: Richard Harland
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Schicksal ihrer Befehlshaber reagierten: Der Kampfeswille hatte sie verlassen; überall auf dem riesigen Aufmarschgebiet machten sich Truppen auf den Weg zu ihren jeweiligen Juggernauts. Einige der ehemaligen Gesindlinge schossen in Richtung der Soldaten, aber es gab keinen Grund dafür, denn der Rückzug war in vollem Gange. Col lachte vor Erleichterung laut auf. »Und ich dachte vorhin, dass wir erledigt sind!«
    Riff stimmte in sein Lachen ein. »Bis die Enterhaken heruntergeflogen sind …« Auch Riff setzte sich nun auf, aber plötzlich war es, als bliebe ihr das Lachen im Halse stecken. Col sah sie besorgt an. Ihre Augen waren geweitet und stierten in die Ferne. Er fragte sich, ob sie durch die Explosion eine Gehirnerschütterung erlitten hatte.
    Aber dann sah er, wohin sie starrte – zu einem der ehemaligen Gesindlinge, der in fünfzig Schritt Entfernung mit anderen ehemaligen Gesindlingen zusammenstand. Obgleich die Person ihnen den Rücken zukehrte, gab es eine Sache, die sie auf Anhieb von den anderen unterschied: Sie hatte blond-schwarz geschecktes Haar!
    »Deine Mutter«, rief er aus. »Das ist deine Mutter!«
    Riff nickte nur.
    »Willst du denn nicht hingehen?«
    Riff machte keine Anstalten sich zu erheben. »Mein Pa auch, da links neben ihr.« Sie atmete in kleinen flachen nervösen Zügen.
    Col war sprachlos. Sie musste doch außer sich sein vor Freude.
    »Und?«, fragte er.
    »Vielleicht erkennen sie mich gar nicht. Sie haben mich ja bis jetzt auch nicht erkannt.«
    »Du hast ihnen auch keine Chance dazu gegeben.«
    »Aber vielleicht können sie sich nicht mehr so weit zurückerinnern.«
    »Dann warte doch ab, bis sie dich von nahem gesehen haben!«
    »Sie müssen sich einfach an mich erinnern. Ich erinnere mich an alles, was mit ihnen zu tun hat. Alles.«
    Jetzt erst verstand Col, dass sie Angst hatte, und erinnerte sich daran, wie Lye und Shiv sie ihren Eltern gegenübergestellt hatten. Nickt mit den Köpfen, wenn ihr euch an mich erinnert , hatte Riff gesagt. Und die Gesindlinge hatten genickt. Nickt mit den Köpfen, wenn ihr nicht an mich erinnert , hatte sie dann gesagt. Und sie hatten wieder genickt. Er sah jetzt noch vor sich, wie blass Riff geworden war und wie elend sie ausgesehen hatte.
    Selbst Riff konnte also Angst haben. Ihr Schmerz musste unaussprechlich groß gewesen sein. Damals war er nur mit seinem eigenen Kummer beschäftigt gewesen, aber jetzt fühlte er, wie sie gelitten hatte, und er verstand, dass sie eine panische Angst davor hatte, noch einmal etwas Ähnliches erleben zu müssen.
    Er verstand – und er wusste ganz genau, was er jetzt zu tun hatte.
    »Es wird schon alles gutgehen«, sagte er, »glaub mir.«
    »Ich kann nicht … Ich könnte nicht …«
    »Seit sie dich das letzte Mal bewusst gesehen haben, bist du natürlich größer und älter geworden. Lass ihnen doch einfach ein bisschen Zeit. Ich wette, dass sie unglaublich stolz auf dich sein werden.«
    Er zog sie am Ellbogen hoch und schob sie vor sich her. Sie leistete keinen Widerstand, aber er wusste, dass sie nicht weitergehen würde, wenn er sie losließe. Er schob sie den ganzen Weg vor sich her und murmelte wieder und wieder beruhigende Worte. Die letzten zwanzig Schritte waren die reine Qual. Ihretwillen zeigte Col sich weiterhin zuversichtlich, aber tatsächlich war auch er sich nicht sicher, ob ihre Mam und ihr Pa sie wiedererkennen würden – und er wusste: Wenn sie es nicht täten, würde es auch ihm das Herz brechen. Jetzt waren es nur noch fünf Schritte, aber Riffs Beine weigerten sich, auch nur einen einzigen weiteren Schritt zu tun, und ihre Stimme versagte.
    Col sah in ihre Augen und erkannte die Hoffnung hinter der Angst. So viel verzweifelte Hoffnung – und die Hoffnung war dabei, sich Bahn zu brechen.
    Die letzten Schritte unternahm Col allein, dann räusperte er sich und sagte: »Ich habe jemanden mitgebracht, der euch sehen möchte.«
    Riffs Mutter drehte sich abrupt um, und Col starrte in die Mündung ihres Maximgewehrs. Sie hatte es gegen ihre Hüfte gestemmt; ein Gurt um ihre Schulter trug das Gewicht. Sie war hellwach und kampfbereit.
    Das ist gut, sagte sich Col. Sie zeigt die schnellen Reaktionen einer Dreckigen, nicht die Trägheit eines Gesindlings.
    »Was is denn, Masha?«, fragte der Mann, mit dem sie sich gerade unterhalten hatte. Es war der andere Gesindling, den Lye und Shiv damals zu Riffs Kabine gebracht hatten. Col hatte das Gesicht sofort wiedererkannt, obwohl der
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