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Liberator

Liberator

Titel: Liberator
Autoren: Richard Harland
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nicht den Verstand, eigene Entscheidungen zu treffen.« Gillabeth würgte das Kissen, als ginge sie jemandem an die Gurgel. »Wenn du denkst, die Dinge stehen jetzt schon schlimm, dann warte ab, was als nächstes kommt.«
    »Noch schlimmer?«
    Mit perverser Genugtuung sagte Gillabeth: »Noch viel, viel schlimmer!«
    05
    Die Ratsversammlung fand ganz formlos am Ende der Brücke statt. Die Ratsmitglieder beugten sich über Gansys Kartentisch. Kein Vergleich zu den steifen Exekutivkammer-Versammlungen des alten Regimes. Zwei Dreckige standen vorne an den großen Fenstern und gaben in gemessenem Ton den einen oder anderen Befehl; vier andere bewegten sich zwischen den Steuerungsgeräten hin und her und betätigten irgendwelche Schalter und Hebel. Das auf Hochglanz polierte Holz, die gläsernen Messanzeigen und glänzenden Messingbeschläge, das alles vermittelte ruhige, glatte Effizienz.
    Für alle sechs Ratsmitglieder standen Faltstühle, wie sie früher zum Picknick verwendet wurden, am Kartentisch bereit. Lye setzte sich neben Shiv: die radikale Fraktion. Auch die zwei Gemäßigten, Riff und Dunga, saßen nebeneinander. Gansy stimmte manchmal mit den Gemäßigten, manchmal mit den Radikalen, je nach ihrer eigenen Einschätzung. Padder hingegen stimmte manchmal aus Loyalität zu seiner Schwester Riff mit ihr, und manchmal, aus einer instinktiven Aggression gegen die Protzer, gegen sie.
    Col hielt sich bescheiden im Hintergrund.
    Die Versammlung begann mit einer Diskussion des Mordes. Die Besichtigung des Tatortes auf Deck 1 hatte nichts Neues zutage gefördert. Da Shiv das Kommando über das Ermittlungsteam hatte, fasste er seine bisherigen Aktivitäten zusammen, die hauptsächlich in der Rekrutierung von mehreren Dutzend Dreckigen bestanden hatten.
    »Sie brauchen ein Abzeichen«, sagte Shiv gerade. »Ich schlage ’ne rote Armbinde vor.«
    Riff zog eine Augenbraue in die Höhe. »Wofür?«
    »Damit jeder weiß, dass sie zur Sicherheitstruppe gehören und damit das Recht haben, Fragen zu stellen.«
    Shiv sprach nie von Ermittlungsteam, sondern immer von Sicherheitstruppe. Es gab eine kleine Debatte über die roten Armbinden, aber am Ende stimmten alle zu.
    Doch dann brachte Shiv ein ganz anderes Thema aufs Tapet: »Wir haben bald keine Kohlen mehr.«
    »Wieso das denn?«, fragte Padder. »Wir fahren doch extra ganz langsam.«
    Gansy nickte. »Achtzehnhundert Meilen. Und nur auf dem Seeweg. Das braucht viel weniger Kohlen als über Land.«
    Shiv drehte sich zu Lye. »Erklär du’s ihnen, das ist ja jetzt dein Bereich.«
    Lye hatte bislang still dagesessen und ihre Ansichten für sich behalten. Nun protestierte sie. »Ich finde, du solltest es erklären. Du bist doch der Experte!«
    Shiv zuckte mit den Schultern, wirkte allerdings erfreut.
    Sie macht sich lieb Kind, dachte Col.
    »Also, es stimmt, wir sind sehr langsam gefahren und haben oft Pausen eingelegt, aber auch dann wird Kohle verbraucht. Die Kessel müssen weiter unter Dampf bleiben, und die Turbinen müssen die Dynamos in Bewegung halten, damit Elektrizität erzeugt wird. Es sind jetzt mehr als drei Monate seit der Befreiung vergangen, und schon da waren die Kohlebunker nur zu einem Viertel gefüllt … Das war auch der Grund, warum Zeb sich nach Unten auf den Weg gemacht hatte. Er wollte sich mit eigenen Augen überzeugen«, fügte Shiv hinzu.
    »Wieviel is denn jetzt noch in den Bunkern?«, fragte Padder in Richtung Lye. Dann besann er sich eines Besseren und sah Shiv an.
    Shiv spitzte seine dünnen Lippen. »Vielleicht genug für einen Monat, wenn wir weiter so schleichen wie jetzt. Oder anders gesagt: für ein paar Hundert Meilen.«
    »Also, was sollen wir tun?« Riff drehte sich plötzlich zu Col. »Wie hat der Worldshaker seine Kohlen bekommen?«
    Spöttisch wiederholte Shiv die Frage und setzte hinzu: »Was hätte denn dein Großvater in diesem Fall getan?«
    Col ignorierte den spöttischen Ton und antwortete: »Kohlestationen. Die Juggernauts docken an Kohlestationen an, um Kohlen zu laden.«
    »Wo?«
    Col versuchte sich zu erinnern, was ihm Sir Mormus dazu erklärt hatte. »Eine ist in Singapur, eine andere in Hongkong.«
    »Singapur«, rief Dunga, »aber da sind wir doch vor zehn Wochen vorbeigekommen!«
    »Ja«, sagte Gansy. »Wart mal, ich muss nachdenken.«
    Keiner sagte etwas. Und obgleich Gansy mit ihrem wirren, ungekämmten Haar immer etwas zerstreut wirkte, verfügte sie über einen scharfen Verstand. Nach einem Moment verschwand sie unter
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