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Lexikon der Oeko-Irrtuemer

Lexikon der Oeko-Irrtuemer

Titel: Lexikon der Oeko-Irrtuemer
Autoren: Dirk und Miersch Maxeiner
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entpuppt sich bei näherem Hinschauen als Mythos. In der Bundesrepublik gingen die ersten Initiativen 1963 vom Gesundheitsministerium aus.) Man reklamiert die Moral für sich und läßt dem Gegner nur die Unmoral, womit der Konflikt oft unlösbar wird. Politisch engagierte Chemiker nennen sich in Deutschland »kritische Chemiker«. Sie degradieren ihre Kollegen damit nebenbei zu unkritischen Subjekten. Es gibt aber keine kritische Chemie, sondern allenfalls richtige und falsche Messungen und Analysen. Solche »kritischen« Wissenschaftler übernehmen immer öfter das Beschaffungswesen für den »Schadstoff der Woche« und finden immer neue Unentbehrlichkeitsbeweise.
    Interessant an der Entwicklung der ökologischen Kräfteverhältnisse ist dabei, daß sich die Mehrheit für eine Minderheit hält. Umweltschutz ist längst sakrosankt geworden. Die sogenannten Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) sind hofierte Störenfriede. Anders läßt sich beispielsweise die zeitweise Liaison von Greenpeace und dem kommerziellen Fernsehsender RTL nicht erklären. Wer den Kampf von Greenpeace gegen Shell für einen Kampf »David gegen Goliath« hält, unterliegt einer grandiosen Selbsttäuschung. Shell hatte gegen den grünen Moralmulti nie den Hauch einer Chance (und die Wahrheit auch nicht).
    Die Protestkultur hat in Deutschland eine paradoxe Struktur entwickelt. Der Soziologe Norbert Bolz formuliert das so: »Man ist in der Gesellschaft im Namen der Gesellschaft gegen die Gesellschaft.« Die Grünen sitzen in Regierungen und Parlamenten, und es wird ihnen auf Dauer wohl nicht gelingen, so schreibt Volker Zastrow in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, »die glänzende Fiktion ihres ewigen Widerstandes gegen die Staatsmacht aufrechtzuerhalten«.
    Diejenigen, die einst mit phantasievollem Protest angetreten sind, wurden genau das, was sie niemals werden wollten: typisch deutsch, pathetisch und von missionarischem Eifer beseelt. Die Rolle der Anstandstante, die in den sechziger Jahren dem Pastor und dem Kirchenkränzchen zukam, wird heute begeistert von einer heimatlosen Linken übernommen, der als letzte Utopie die Klimakatastrophe geblieben ist. »Intellektuelle wurden Priester«, schreibt der Schriftsteller Dietrich Schwanitz, »gegen die Heiterkeit des Gesellschaftsspiels setzen sie das Recht auf Unglück durch Identifikation mit verfolgten Völkern und bedrohten Tierarten.« Der Glaube, dabei einer progressiven und verfolgten Minderheit anzugehören, verhindert erfolgreich, daß man mit Veränderungen bei sich selbst anfängt. Und da sie alle nicht jünger geworden sind, haben wir es heute mit einem bemerkenswerten Fundamentalismus erfolgreicher Senioren zu tun, die sich in der Pose moralischer Punktrichter gefallen.
    Die erste Welle des Umweltschutzes hat viel erreicht. Aber sie ist unwiederbringlich vorbei. Die Protagonisten drehen sich im Kreise. Sie suchen nach immer neuer Bestätigung alter Weltbilder. Auf der nächsten Ereigniskarte in diesem »Gesellschaftsspiel« sollte ein erlösender Satz stehen: Gehe zurück auf Feld eins!
    An die Stelle der heutigen Umweltbewegung wird etwas Neues treten. Zu groß sind die offensichtlichen inneren Widersprüche in den Argumentationsmustern. Wer einen Atomausstieg will, kann nicht zugleich gegen ein atomares Endlager sein. Wer saubere und intelligente Zukunftstechnik will, kann nicht gleichzeitig für die subventionierten Stahlarbeiter auf die Straße gehen. Wer Gerechtigkeit für die Dritte Welt predigt, kann nicht die Globalisierung verfluchen und die Abschottung Europas fordern. Er sollte besser lernen, die Konkurrenz aufstrebender Entwicklungsländer auf dem Weltmarkt zu ertragen. Wer in der Landwirtschaft einen Verzicht auf Pestizide und Kunstdünger fordert, kann nicht die Gentechnik tabuisieren (diese könnte sich nämlich als ein Weg erweisen, um die ersten beiden Ziele zu erreichen). Wer die Regenwälder erhalten will, sollte keinen Tropenholzboykott propagieren. Denn nicht der Wert der Wälder, sondern ihre vermeintliche Wertlosigkeit führt zu ihrer Zerstörung. Wer mehr Nationalparks und Naturreservate will, kann nicht den Tourismus verteufeln.
    Die Zukunft gehört ganz neuen, überraschenden Koalitionen - und es werden auch neue Konflikte auftauchen. Schon heute geht es ja oft nicht mehr um den Kampf für den Umweltschutz als solchen, sondern um die Abwägung verschiedener ökologischer Optionen (die Auseinandersetzung um die Windkraft zeigt es bereits). Wir müssen
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