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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle
Autoren: Apostoloff
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bändigen, was da alles wuchs und wie es wuchs. Stengel schössen in die Höhe,
Bäume und Sträucher schienen an doppelter Laublast zu tragen. Nur die Hauptwege
und die ganz frischen Gräber waren pflanzenfrei.
    Die
Popen wanderten hinter dem Wagen her und schwenkten dabei unentwegt die
Weihrauchgefäße. Tabakoff verteilte wieder Kerzen und zündete sie an. Die
meisten Grabstätten wirkten kleiner als Gräber auf unseren Friedhöfen. Es gab
Blechchristusse unter verwitterten Eisendächlein, Engel mit merkwürdigen Rohren
in der Hand - waren es schreibende Engel? -, Engel mit aneinandergelegten
Händen, überall standen Öllämpchen, und man sah alte Frauen mit Ölflaschen, die
die Lämpchen nachfüllten.
    Abseits
des Hauptweges lagen die Gräber noch enger beieinander. Auf einem der Sofioter
Friedhöfe soll ein junger Mann in seinem Porsche beerdigt worden sein; in den
Reihen, an denen wir vorbeikamen, war kein Platz für einen Porsche. Weiter
hinten, im katholischen Teil des Friedhofs, zeigten sich Gevierte mit alten
Grabhäusern, die nicht nach der Ost-West-Richtung ausgerichtet waren wie die
orthodoxen Gräber.
    Emaillierte
Photos erinnerten hie und da an die Verstorbenen. Ich sah ein kleines
Steinmedaillon mit dem Profil eines Mannes und musste an das Rundsiegel auf dem
Philatelisten-Esperantisten-Mäppchen unseres Großvaters denken. Neuerdings
hatte eine grauenhafte Mode Einzug gehalten: Photos, die im Computer
verwandelt und als schwarzweiße Strichtechnik direkt auf den polierten Stein
aufgetragen wurden.
    Auch
die Engel hatten inzwischen aufgerüstet.
    Und
da kam es auch schon in Sicht, das Monument eines jüngst verstorbenen
Gangsters. Mannshoch war er auf seiner polierten Stele abgebildet, mit
zusammengewachsenen Augenbrauen, das Handy ans rechte Ohr gehoben. Hinter ihm
lugte die Vorderseite eines Mercedes hervor, SIMO stand auf dem Nummernschild, wahrscheinlich sein Spitzname,
denn der junge Mann, der da mit dreiunddreißig Jahren ins Gras gebissen hatte,
hieß Simeon Valentinow Angelow. (Rumen half mir beim Entziffern, mit etwas
Geduld hätte ich es auch selbst geschafft.)
    Angelow
- der Engelsname kommt häufig in Bulgarien vor. Wir führten in unserem Tross
gleich drei davon mit, einen in der Kiste, zwei lebendig, allerdings mit
flottem "v"am Schluss, jener alten Umschrift, die dem Namen mehr Dynamik
verleiht. Ein Engel mit w am
Ende wirkt schlapp, fliegt nicht; kaum vom Boden losgekommen, landet er weich
und plump im Schmodder.
    Er
hat unter dem Pullover weibische Brüstchen, sagte ich zu meiner Schwester,
findest du nicht?
    Hat
er, sagte meine Schwester. Allerliebst finde ich die gespreizte Energiehand mit
der umgeschnallten Rolex. Ob die noch tickt?
    Der
Grabstein war oben sinuskurvig gewellt, rechts und links hatte man zwei leicht
zurückgesetzte Ausleger angebracht, etwa wie langgezogene Ohren, der linke
trug auf weißem Grund ein schwarzes Kreuz.
    Natürlich
hatte der telefonierende Simo alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen, viele von
uns waren stehengeblieben, und nun mussten wir unseren Wagen im Geschwindschritt
wieder einholen. Die Pferde zockelten an modernen, aber völlig ramponierten
Urnenwänden vorüber, staubiger Plastikschmuck lag in den Nischen. Dann folgte
eine Gruppe kreuzloser Gräber, betont schlicht. Rumen flüsterte mir ins Ohr,
das seien Gräber von ehemaligen Politbüromitgliedern. Bei denen seien Kreuze
verpönt gewesen.
    Rumen
und ich wanderten eine Zeitlang nebeneinander her, vom Politbüro kamen wir ab
und auf unsere Familien zu sprechen, wobei mir klar wurde, dass er uns
Schwestern von Kindesbeinen an aus Erzählungen kannte, vielleicht nicht immer
aus zutreffenden. Wir waren uns sogar während meiner ersten Sofiareise
begegnet, woran ich mich, peinlich genug, überhaupt nicht erinnern konnte.
    Aus
der Klemme half Tabakoffs Monument.
    Ist
es das, was ich glaube, dass es ist? fragte überflüssigerweise meine
Schwester.
    Addio
für immer, sagte ich. Da steckt man sie rein.
    Groß,
weiß und je nach Gemütslage des Betrachters albern oder imposant. Es hatte
einen fast drei Meter hohen und ziemlich breiten Sockel, in den die Namen der
Stuttgarter Bulgaren gemeißelt waren, darüber erhoben sich in versetzter, vor-
und zurückspringender Bauweise die Grabnischen. Wie schon in der Kirche
bestand die Ordnung aus drei Reihen oben mit jeweils fünf, aus einer Reihe mit
drei Nischen unten. Unter jeder Höhlung dürfte noch einmal der Name des
künftigen Nischenbewohners gestanden
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