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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle
Autoren: Apostoloff
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Hopphopp!
    Vielleicht
zieht mich das Häßliche an, weil ich unaufhörlich nach Beweisen suche, wie
verrottet und verderbt die Welt ist. Das Häßliche zog mich zuerst nach links
und die anderen hinter mir drein. Da standen Blöcke zuhauf herum, unangenehm
weiße Marmorblöcke, lauter neu geschaffene Heldenmonumente, die aber noch
keinen passenden Friedhof gefunden hatten, wie wir von Rumen erfuhren. Jeder
Marmorblock ein Grabstein für einen bulgarischen Helden, wobei diese Steine
mehr der Verspottung als der Verehrung dienten, so roh, wie die Blöcke
ausgesägt, so dilettantisch, wie die Schriftmulden ausgefräst waren. Das
fransig aufgetragene Buchstabengold wirkte geradezu erschütternd lächerlich.
    In
der niederen Eingangshalle konnte man das Fürchten lernen. Ich erlitt eine
Schädelpressur. Vom Gebäudetyp her hätten quer über die Wand gezogene Sprüche
gepaßt - Das bulgarische Volk braucht die Freundschaft
der Sowjetunion wie die Lebewesen Licht und Sonne -,
aber solche Spruchkunst war inzwischen außer Mode. Immerhin, es gab das
berühmte Plakat von John Heartfield mit einem riesenhaften, glotzäugigen
Dimitroff darauf, der sich über den kleinen Göring in Pluderhosen beugt.
    Doch
die thrakischen Schätze waren hinreißend. Noch nie hatte ich so feine
Goldarbeiten gesehen. Das Wort Arbeit führt hier in die Irre - in den Vitrinen
lagen Gebilde, die in ihrer Fragilität verblüfften, zarter als Oblaten, lauter
Wunder, von denen man glauben konnte, sie seien in einem Hauch erschaffen
worden und nicht mit Hilfe von Werkzeugen.
    Wenn
man zum hinteren Ausgang hinaustrat, kam man in einen terrassenförmig angelegten
Garten mit verschiedenen Wasserbecken. In diesen Becken mochte das Wasser
einst gesprudelt haben oder von zischenden Fontänen in die Höhe gesprüht worden
sein, jetzt ragten aus den modrigen Bassins verrostete, verkrümmte Gestänge.
Die Pflanzen, die am Hang kauerten, boten das Bild von Versehrten - ein
staubbedecktes Heer aus Krüppelkiefern, zerschlissenen Buchsbäumen, fahlen
Gräsern, alles, was größer als einen halben Meter war, zum Umfallen müde. Auf
der Terrasse verkündeten zwei einsame Plastiktische und drei Plastikstühle,
wenn man unbedingt wolle, dürfe man sich hinsetzen. Aus einem verborgenen
Winkel des Gebäudes trieb Rumen eine Bedienerin auf und bestellte Tee. Sie kam
eine halbe Stunde später herangeschlurft, brachte lauwarmes Wasser und drei
mumifizierte Kommunistenteebeutel auf einem schmierigen Tellerchen.
    Zu
später Stunde trafen wir erstaunlich viele Mitfahrer in der Zigarrenbar des
Hotels wieder. Dunkles Holz, dunkelbraune Ledersofas, einige Sessel wie weiche
Tiere. Die Stimmung war hochprozentig. Man zog über Bulgarien her und war
dabei bester Laune. Vom Besuch bei den Verwandten hatte jeder einen Sack voll
Mafiageschichten mitgebracht. Auch wenn man die rege Phantasie der Bulgaren in
Rechnung stellte und die Hälfte davon abzog, blieb immer noch genug Schlimmes
übrig. Recht und Ordnung? Lachhaft. Abgeordnete verprügelten
Verkehrsteilnehmer, die ihnen in die Quere kamen, auf offener Straße. Im Fernsehen
durfte verkündet werden, Juden und Zigeuner seien zum Seifemachen gut.
Augenärzte vergaßen bei Operationen die Nähte herauszunehmen, und niemand zog
sie zur Verantwortung. Geldgier, Pfusch und Schlamperei zum Gotterbarmen.
    Weil
wir den Chef nicht verärgern wollten, hielten meine Schwester und ich uns
zurück. Aber Tabakoff schimpfte selbst wie ein Rohrspatz. So verrottet sei ihm
Sofia noch nie vorgekommen, es sei eine Schande. Der Rosenzüchter verfluchte
die maroden Bürgersteige, man fluchte über die bis an die Hauswände geparkten
Autos, fluchte über die Unterführungen, wo überall die Deckenverkleidung
herabbaumelte oder schon abgefallen war, fluchte über die entsetzlichen
Denkmale und den schauerlichen Kulturpalast, fluchte über den Dreck und
werweißwasnochalles.
    Der
Sohn von Koljo Wuteff wandte schüchtern ein, er sei an einem Markt vorbeigekommen
und habe schönes Obst gesehen.
    Tonnenweise
Pestizide drauf, fertigte Stefan Gitzin ihn ab: Das kontrolliert keine Sau.
    Meine
Schwester wurde mit einem Mal lebendig. Sie hatte zwar keine Zigarre zwischen
den Zähnen, aber den Co-gnac schwenkte sie wild herum und schüttete ihn
regelrecht in sich hinein. Ihr Gesicht färbte sich rot. Sie behauptete, ein
Mittel im Gepäck zu führen, das einen gegen die bulgarischen Zumutungen
immunisiere. Einen dicken amerikanischen Roman. Ballonfahrer über den
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