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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle
Autoren: Apostoloff
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Vater, sondern bloß Sohn, soll das
Schreiben zwar rasch erlernt, bei seinem Namen soll es jedoch gedauert haben,
bis er ihn ohne Zögern hat hinschreiben können. Als Erwachsener, Arzt dann,
hatte er eine versudelte Schrift, für jeden Apotheker, der seine Rezepte
entziffern musste, eine Zumutung. Der Namenszug war völlig unleserlich. Ja,
auch bei unserem Vater bildete der Name den Kern der Persönlichkeit. Eine
völlig versudelte Persönlichkeit, sage ich zu meiner Schwester und glaube zu
hören, wie sie seufzt - meines Geredes wegen, der unbegreiflichen Launen, denen
es folgt.
    Eine
Persönlichkeit ohne Stimme und Gewicht, zumindest für seine Töchter, falls er
in deren Köpfen überhaupt vorkommt, sage ich triumphierend. Dochdoch, er kommt
vor. Zeigt sich huschhusch nach Belieben, dieses Aas von einem Vater!
    Es
sind die nachts begonnenen und tagsüber ausgeschmückten Träume, in denen unser
Vater regelmäßig wiederkehrt.
    Da
meine Schwester beharrlich schweigt, Rumen nur stöhnt und mit der Faust aufs
Lenkrad schlägt, wenn, wie er glaubt, ein ausgemachter Schwachkopf ihn am
freien Fahren hindert, spreche ich jetzt für meine Schwester mit - obwohl sie
für gewöhnlich leugnet, dass Väter in Träumen erscheinen, unser versudelter
Vater sogar mit einiger Hartnäckigkeit.
    Neulich,
in der Nacht, bevor wir nach Sofia flogen, saß er bei mir im Zimmer. Seine
Präsenz war so wenig merkwürdig, wie zum Beispiel in einer Erzählung von
Murakami, in der es heißt: Als Katagiri in seine
Wohnung kam, wartete dort ein riesenhafter Frosch auf ihn.
    Auf
mich wartete keine riesenhafte Amphibie, sondern bloß der Vater. Er benahm sich
diskreter als Murakamis Frosch, schwieg. Wozu die Stimmbänder strapazieren,
zwischen uns gibt es nichts zu bereden. Langsam stand er auf und ging durch die
Wand. Während er schon verschwunden war, schleppte das Ende seines Stricks noch
am Boden, bis es allmählich ebenfalls verschwand. Mein Vater hat seinen Strick
meistens dabei, das ist ganz und gar nichts Neues.
    Unser
Rumen ist ein hektischer Fahrer. Immer wieder reißt er mich aus meinen
Gedanken. Wenn er überholt, fragt man sich unwillkürlich, schafft er's, oder
schafft er's nicht. Gerade hat er einen Lastzug hinter sich gelassen, beladen
mit Baumstämmen, an deren längstem ein roter Wimpel flattert. Wir sind noch
mal davongekommen.
    Rumen
Apostoloff möchte uns die Schätze Bulgariens zeigen. Meine Schwester und ich
wissen es besser: solche Schätze existieren nur in den bulgarischen Hirnen. Wir
sind überzeugt, Bulgarien ist ein grauenhaftes Land - nein, weniger dramatisch:
ein albernes und schlimmes. Seine Gegenden? Meer, Wald, Gebirge, Auen?
Unseretwegen mag es da verborgene Reize geben. Wir sind aber keine Ornithologen
und wollen auch nicht auf Bärenjagd gehen. Auf malerische Rhodopenschluchten
geben wir nichts, Hammerschläge in Rhodopentälern erschüttern uns nicht,
Glockengeläut lädt uns nicht zum Kirchgang ein. Rosenfelder sind für uns
Rosenfelder und sonst wenig, Rosenfelder bringen unsere Herzen nicht in
Wallung. Bloß weil man auf eine blutrote Fläche zeigt, benehmen wir uns nicht
wie Frischverliebte und erfahren auch keine Extrablutzufuhr. Nüchtern bleiben
ist eine Kunst. Eisern wird sie von uns praktiziert, sobald wir bulgarische
Luft wittern, gar die ersten vorsichtigen Schritte auf bulgarischem Boden tun.
    Und
sonst? Sind die bulgarischen Chöre etwa nichts? Le
Mystere des voix bulgares, wie es immer so nobel
heißt? Hört sich das nicht an wie hoch droben in den Äther hineingesungen und
vom Berg herabtönend? Kommen wir nicht ins Grübeln, wenn wir an Orpheus denken,
der in den Rhodopen so rein und bezaubernd sang und dazu die berühmte Leier
schlug, dass Steine und Bäume sich um ihn her scharten, alles Wild die Hörner
senkte, Hirschen und Rehen die Beine einknickten vor Entzücken, Fell an Fell,
Fell an Kleid von Gejagten und Jägern sich aufs weiche Moos lagerte und Frieden
herrschte und Lauterkeit unter allen Wesen, die Ohren haben und in deren Brust
ein Herz schlägt, weil alles nur noch ein Lauschen war, ein sonderbares
Lauschen, ein Lauschexzess mit fühlenden Steinherzen und auffangsamen
Steinohren, wie ihn nicht einmal die Bibel kennt.
    Tja,
sagen wir, mag wohl sein, aber ihr habt eure Ur-Ur-Urgroßmütter vergessen,
diese geifernden Mänaden, diese Lärmkanaillen, rachsüchtig, blutwütig, böse.
So lange bliesen die auf ihren Hörnern und schrieen und schlugen Krach, bis
Orpheus' Gesang nicht
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