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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle
Autoren: Apostoloff
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mehr verfing und sie den Sänger schlachten konnten. Auf
der Mariza schwammen alsbald die marmorweißen Körperstücke, schwamm das
immerfort singende Haupt des Orpheus vorbei an Buchenwäldchen und
Weidengehölzen, vorbei an Haselsträuchern und Pappeln, es schwamm und schwamm
das schöne Haupt meerzu und fort. Fort aus diesem Malefizland, damals noch
Thrakien geheißen. Kein Schatz an geistigem Behagen, der sich da in euren
Rhodopen versteckt. Nicht Orpheus ist's, der aus euren Chören tönt, Mänaden sind's,
jedenfalls die späten Abkömmlinge davon. Und damit wäre das Rätsel gelöst,
warum in den bulgarischen Chören die Kehlköpfe so unnatürlich gequetscht
werden.
    Er
sang so schön, unser Frauenarzt, seufzt der Chor der Vaterverehrerinnen, lauter
ehemalige Patientinnen, die ihren exotischen Orpheus am Fenster, am
Schreibtisch, mit dem Fingernagel an eine Kanüle klopfend, übers ärztliche
Besteck gebeugt oder sonstwo haben singen hören wollen. Bis er schließlich sein
eignes Totenliedchen sang, ein allmählich in Röcheln übergehendes
Sterbe-kr-kr, das von der einst überaus melodiösen Vaterstimme noch ein wenig
ausgeziert wurde, solange das bisschen Luft im Hals für Zierat eben reichte.
    Sein
Haupt aber, o dieses Vaterhaupt, war von der Fülle der Schwärze bereits bedeckt
und in den Tod geschlungen.
    Weiter
im Text, sage ich, weiter und fort im bulgarischen Unglück, das dieses Aas von
einem Vater auf Häupter und Herzen seiner Töchter geladen hat. Gottlob
geschieht es nicht wie üblich laut, sondern so leise, dass Rumen mich unmöglich
hören kann, auch wenn ich nicht weiß, ob er es nicht doch könnte, weil sein
sicherheitsdienstliches Gehör so geschärft ist, dass es Laute vernimmt, die
sich noch gar nicht an der Luft befinden, sondern als kitzlige Gebilde auf der
Zunge.
    Rumen,
armer Rumen, haben wir schon von der bulgarischen Keramik gesprochen, die du
uns so gerne zeigst? Dem Pfauenaugendekor, dem Fließmuster auf all den braunen
Krügen, Näpfen, Tellern, Aschenbechern, Kaffeetässchen, seinerzeit beliebte
Mitbringsel für DDR-Urlauber, heute eher von Engländern geschätzt? Uns kommen
Teller, Tassen, Becher dick vor. Eine unangenehm wulstige Kinderkeramik.
Außerdem empfiehlt sich das Zeug nicht als Essgeschirr; das eingebrannte
Kobaltblau dringt durch die Glasur und ist giftig.
    Und
was ist mit der Schwarzmeerküste? Schwarzmeerküste, das klingt doch nach
Meeresrauschen, Möwen, Dünen, nach Strandcafés, dümpelnden Bötchen, klickenden
Jachtmasten, und etwas weiter weg, schon nicht mehr in Bulgarien, nach Ovid?
Ach was. Verbaut, verpatzt, verdreckt. Das aschgraue Meer - leergefischt. Das
bulgarische Essen? Ein in schlechtem Öl ersoffener Matsch. Der Fisch ein
verkokelter Witzfisch. Bulgarische Kunst im zwanzigsten Jahrhundert?
Abscheulich, und zwar ohne jede Ausnahme. Die Architektur, sofern nicht
Klöster, Moscheen oder Handelshäuser aus dem neunzehnten Jahrhundert? Ein
Verbrechen!
    Meine
Schwester schüttelt den Kopf. Nicht zum Widerspruch - sie hat mich ja nicht
gehört -, nur wegen einer Mücke, die in ihr Haar geflogen ist und sich darin
verfangen hat.
    Wie
immer kommt ihr Einwand zur rechten Zeit.
    Oh,
ich weiß! Weiß es im geheimen besser, kann mich aber nicht zügeln. Das Wort
Bulgarien genügt, ein Reizwort, es erzeugt einen Anfall, und der schwemmt in
der Sekunde alle Vernunft fort. Vaterhass und Landhass sind verquickt und
werden auf vertrotzte Weise am Köcheln gehalten. Bulgarien? Vater? Ein
Schnappmechanismus. Da helfen auch einzelne zartsinnige Bulgaren nicht, die
uns durchaus schon begegnet sind und denen ich wiederum, kaum dass ich sie
erblickte, mit einer fast irrsinnigen Euphorie entgegenflog. Solche Menschen
rechnet der kindische Buchhalter in mir aber nicht den Bulgaren zu. Sie siedeln
auf volksfreiem Gebiet, wo alle meine Lieblinge siedeln.
    Was
immer uns Rumen zeigt, meine Schwester quittiert es mit einem lieblichen
Lächeln. Ich kenne dieses Lächeln genau. Meine Schwester setzt es auf, wenn sie
im tiefsten Inneren angeödet ist. Es ist ein die Welt ihrer Lieblichkeit
versicherndes Lächeln, das kommentarlos bleibt und keinerlei Anteil nimmt. Die
trockene, in Zucker erstarrte Version ihres Lächelns. Insgeheim ist auch sie
froh, wenn sie wieder mal feststellen kann, wie stumpfsinnig Bulgarien ist.
Das weiß ich genau, obwohl meine Schwester viel zu höflich, viel zu vorsichtig
ist, um ihrer Abneigung freien Lauf zu lassen. Das lächerliche Land beweist:
uns ist
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