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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle
Autoren: Apostoloff
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stehen
vor tapezierten Wänden - Sekretär, Tisch, Stühle, die an das deutsche
Biedermeier erinnern, gekreuzt mit napoleonischen Einflüssen. Ich öffne die
Fenster und blicke auf einen idyllischen Innenhof, da tritt meine Schwester
herein, angeblich, um sich mein Zimmer anzuschauen. Sie zeigt mir ein
baumartig sich auszweigendes Korallenstämmchen, das Rumen ihr geschenkt hat.
    Ich
lobe es gebührend. Seit wir in Plovdiv sind, hat das Mienenspiel meiner Schwester
etwas Kleintragödinnenhaftes angenommen. Vermutlich wird sie das in der
Beethovenstraße für mindestens zehn Tage beibehalten. Sie ist drauf und dran,
ein Geständnis abzulegen. Das bebt, das klopft, das will raus und kann nur
durch entschlossene Themenabkehr verhindert werden. In diesen Dingen bin ich
altmodisch. Sei untreu, wer will, aber er schweige eisern. Ich lobe das
Zimmer, lobe den Flur, lobe das Bad, beuge mich erneut aus dem Fenster und
schlage vor, wir sollten heute abend unbedingt das Restaurant unten im Hof
ausprobieren.
    Und
jetzt, Schwesterchen, muss ich in Ruhe aufs Klo.
    Der
Hinterhof hält, was er verspricht. Keine Musik, bequeme Sessel, hübsche
Beleuchtung, tadelloses Essen, guter Wein. Wahrscheinlich haben wir das einzig
rundum angenehme Hotel im ganzen Land erwischt. Wir plaudern und plaudern,
beleben den alten Grabenkrieg Dostojewski versus Tolstoi, wobei Rumen einsam
und tapfer die Festung Dostojewski verteidigt, während wir Schwestern unter der
Flagge Tolstois aus allen Rohren feuern. Wir plaudern über den
Hitler-Stalin-Pakt, über Tante Luise, über Hüpfbohnen und den Vampyrotheutis
infernalis, den schröcklichsten aller schröcklichen Tiefseekraken.
    Kurzum,
es geht uns gut.
    Beim
Nachtspaziergang lockt eine Bar, in die ich meine Verliebten entlasse. Ihnen
bleibt nur dieser eine Abend noch, da bin ich im Wege.
    Buchlos
ins Bett. Der Schlaf schleicht unbemerkt heran, und noch ehe allzuviel gedacht
und sich herumgewälzt werden kann, bin ich weg.
     
    Sofia
     
    Heute vormittag bleibt uns noch Zeit, um wenigstens eines der
berühmten Plovdiv-Häuser aufzusuchen. Wie dumm, dass wir nicht
früher hergefunden haben. Kleine Paläste von ingeniöser
Anlage sind zu besichtigen. Allein die Innenhöfe
mit ihrer Steinpracht laden zum Bleiben ein, überall stehen Pflanzenkübel, aus
denen es mit einer Verzweiflung blüht, als wären unser aller Tage gezählt. Von
außen nach innen, vom Schutzraum des Hofes in die Privatsphäre des Hauses
vollzieht sich der Übergang wie in Traumwandelei. Welch ein Feinsinn. Was für
eine Harmonie zwischen gehegter Natur und Architektur. Haben die Bauleute
gesungen, als sie die Balken aufrichteten? Hatten die Holzschnitzer das
Paradies vor Augen, als sie Stechbeitel und Schnitzmesser führten? Schönheit
entzieht sich der Beschreibung, sie lebt im Zusammenhang.
    Alle
bulgarischen Engel müssen beim Bau geholfen haben. Einige von ihnen sind
geblieben und hauchen dem Besucher das Herz warm.
    Die
innere Aufteilung des Hauses entspricht einem vielgliedrigen Familienkosmos mit
bedeutenden repräsentativen Aufgaben. Wandschränke, denen man glaubt, dass es
einen Haussegen gibt und die gute Ordnung. Entzückende Salons, mit Fresken
ausgemalt, die von der Sehnsucht nach Versailles und den französischen Sitten
erzählen. Der Hortus conclusus ist französisch. Die reichen, wiewohl in die
Provinz verbannten Kaufleute wünschten sich eine Synthese aus Paris, Wien und
dem Goldenen Horn, und siehe da, geboren ward eine bulgarische Schöne, zum
Fortleben bestimmt aus eigener Kraft und mit eigener Grazie. Es muss ein
glücklicher Moment in der bulgarischen Geschichte gewesen sein. Was hätte das
für ein redliches Land werden können. Ich wüßte gerne mehr über das
Vielvölkergemisch, das Plovdiv einst besiedelt hat.
    Es
nützt nichts, wir müssen fort.
    En
piste! Auf dem alten Trajanweg nach Sofia. Die bewährte Sitzordnung stellt
sich wieder her, insofern ist alles beim alten, nur unsere Seelen sind weich
und empfindlich, selbst meine, und in den Augen meiner Mitfahrer liegt ein
sanftes Leiden.
    Vor
wenigen Tagen sind wir schon einmal nach Sofia gefahren, damals von
Griechenland herkommend, meine Schwester in robuster Verfassung, ich müde.
Unsere erste Station auf bulgarischem Boden war Melnik. Bis Melnik schlief ich
in das Eschervorhängchen meiner Limousine gewickelt, weil ich während der
Nacht auf der Fähre keinen Moment zur Ruhe gekommen war.
    In
Melnik erlitt Tabakoff seine erste Gemütsverfinsterung auf
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